T. Kolnberger u.a. (Hrsg.): Krieg in der europäischen Neuzeit

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Title
Krieg in der europäischen Neuzeit.


Editor(s)
Kolnberger, Thomas; Steffelbauer, Ilja
Published
Extent
460 S.
Price
€ 28,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Herfried Münkler, Humboldt-Universität zu Berlin

Um falschen Erwartungen sogleich einen Riegel vorzuschieben: Es ist keine Geschichte des Krieges, um die es hier geht, weder eine chronologische noch eine systematische Darstellung der Kriegsereignisse zwischen den Bauernkriegen und der Französischen Revolution, auch keine Politikgeschichte, in der dem Krieg eine herausgehobene Rolle zugebilligt wird. Wer derlei sucht, sollte nach wie vor zu Hans Delbrücks aus dem Anfang des 20. Jahrhundert stammender „Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte“ greifen, die vor geraumer Zeit wieder neu aufgelegt worden ist. 1 Eher kann man von Stichproben sprechen, die in den neunzehn Artikeln des Bandes vorgenommen werden und die keineswegs bloß aus dem Kriegsgeschehen selbst gezogen werden, sondern auch aus dessen Umfeld, wie der Organisation von Söldnermärkten, der Finanzierung des immer teurer werdenden ‚miles perpetuus’, der stehenden Heere, dazu dem Festungsbau, dem Kriegsrecht oder der Produktion von Feindbildern. Eher geht es um Militär- als um Kriegsgeschichte. Man könnte auch von einer Militärgeschichte als Bestandteil der Gesellschaftsgeschichte sprechen. Politikgeschichte spielt gelegentlich herein, kann aber keine große Rolle für sich beanspruchen.

Der Band über den Krieg in der europäischen Neuzeit ist kein Solitär, sondern das Mittelstück einer Reihe, die von Kolnberger und Steffelbauer unter der Überschrift „Krieg und Gesellschaft“ herausgegeben werden. Sie sind nach einem gemeinsamen Schema aufgebaut, bei dem zunächst die Chronologie, sodann der Raum, anschließend Operatives und Ergonomie, danach die Mentalität und schließlich die Sozialgeschichte behandelt werden. Gemäß diesem Schema werden auch die Stichproben genommen, was der Reihe eine gewisse Einheitlichkeit der Fragestellungen verleiht, gelegentlich aber auch ein wenig starr ist und den Blick einengt. So hätte man in einem Band über die Militärgeschichte der frühen Neuzeit eine ausführliche Auseinandersetzung mit der oranischen Heeresreform erwartet, in deren Folge es den Niederländern gelang, der bis dahin besten Infanterie in Europa, den spanischen Tercios, Paroli zu bieten. Es ist bekannt, welche Rolle der über Justus Lipsius vermittelte Neustoizismus bei diesen Reformen gespielt hat und in welcher Weise der Rückgriff auf die römische Berufsarmee der Kaiserzeit dabei ein Modell für die Aufstellung hochgradig disziplinierter Truppen abgegeben hat, 2 aber genau darüber erfährt man in diesem Band nichts, auch nicht in Form einer knappen Zusammenfassung des älteren Forschungsstandes. Überhaupt kommen die Theoretiker des Militärs, die keineswegs mit den bedeutenden Köpfen der Strategiegeschichte identisch sind, 3 in dem Reihenschema von Kolnberger und Steffelbauer schlecht weg. Vermutlich wäre es sinnvoll gewesen, eine Rubrik „Politische Ideengeschichte“ einzuführen, in der dann die Reflexion des Verhältnisses von Krieg und Gesellschaft hätte dargestellt werden können. So vermisst man Machiavelli und Bodin, Hobbes, Locke und vor allem Justus Lipsius.

Aber werfen wir, bevor weitere Vermisstenanzeigen aufgegeben werden, einen Blick auf das, was man in dem Band geboten bekommt: Da sind zunächst drei Aufsätze, die dem militärhistorischen Abriss der Frühen Neuzeit Gestalt verleihen: Marcel Dorfer behandelt den Niedergang der feudalen Heeresverfassung, Uwe Tresp den böhmischen Söldnermarkt im ausgehenden Mittelalter und Lothar Höbelt den Übergang vom militärischen Saisonnier zum miles perpetuus. Damit sind die Lineamente einer Militärgeschichte der Frühen Neuzeit im Wesentlichen umrissen, wenn man einmal davon absieht, dass sich das Kriegsgeschehen der Frühen Neuzeit keineswegs bloß auf dem Land, sondern auch zur See abspielte. So ist keine Rede von den neuen Kriegsschiffen, mit denen die Portugiesen mehr als ein halbes Jahrhundert den Indischen Ozean beherrschten, die arabischen Flotten besiegten und den Grundstein für die globale Seeherrschaft der Europäer legten. Auch Spanien und England bleiben als Seemächte außerhalb des Blickfeldes. Die Herausgeber mögen einwenden, dass es ihnen um die gesellschaftlichen Effekte von Militär und Krieg gehe und dabei der Entwicklung der Seestreitkräfte eine nicht so große Rolle zukomme wie den Landstreitkräften. Das dürfte richtig sein, aber nur, wenn man die wirtschaftlichen Effekte der europäischen Expansion auf die Gesellschaftsgeschichte außer Betracht lässt. Aber ist das sinnvoll? Eher schon muss man sagen, dass in dem Band eine sehr kontinentale Sichtweise von Militär und Krieg in der frühen Neuzeit dominiert. Nennen wir dies die „Wiener Perspektive“.

Nun war das Habsburger Reich mit der Hauptstadt Wien (zu unterscheiden von den im 16. und 17. Jahrhundert in Madrid regierenden spanischen Habsburgern) eine europäische Großmacht, und es gab in der Frühen Neuzeit kaum einen Krieg, an dem es nicht beteiligt war. Insofern gibt es Gründe dafür, dass sich ein erheblicher Teil der Beiträge mit speziell österreichischen Fragen von Militär und Krieg beschäftigt: Thomas Kolnberger mit der spanischen Guerilla und dem Tiroler Aufstand in der Zeit Napoleons, Christoph Hatschek mit den irischen Soldaten in der Habsburger Armee, Leopold Toifl mit den Zündmechanismen an Handfeuerwaffen im Landeszeughaus Graz, gleich zwei Beiträge (Yigit Topkaya und Ernst D. Petritsch) mit dem Türken als Feindbild sowie Guy Thewes mit der Militärfinanzierung in den österreichischen Niederlanden während des 18. Jahrhunderts. Bei so viel österreichischer Militärgeschichte im Europa der Frühen Neuzeit könnte man fast das gerade für diese Zeit geprägte Motto des Wiener Kaiserhauses vergessen: „Bella gerant alii, tu felix Austria nube.“

Aber die „Wiener Perspektive“ ist nicht alles. Es finden sich in dem Band auch ein Beitrag von Johann Dvořák über den New Model Army der englischen Revolution von 1640-1660 und ein ganz vorzügliches Stück von Gunnar Åselius über die schwedische Kriegsverfassung zwischen 1521 und 1814. Befestigungswesen und Belagerungskrieg werden von Henning Eichberg und Hagen Haas überaus instruktiv dargestellt, Ilse Reiter traktiert die Geschichte des Kriegsrechts in Kontinentaleuropa, Stefan Kaufmann stellt Command und Control anhand optisch-akustischer Mechanismen und Einrichtungen in der Ära Napoleons dar, Gottfried Liedl behandelt frühmoderne Staatlichkeit anhand des Emirats von Granada zwischen 1231 und 1492, und Lothar Höbelt schließlich beschreibt die Schlacht von Roccroi im Jahre 1643. Sonja Schultheiß-Heinz untersucht Publizistik und Propaganda in den Kriegen der frühen Neuzeit, und Barbara Wiesinger beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Militär, Krieg und Geschlecht und beschreibt die allmähliche Herausdrängung der Frauen aus dem Tross und der Logistik des Heeres.

Sieht man einmal von der recht engen „Wiener Perspektive“ ab, so bietet der Band, die unterschiedliche Qualität der einzelnen Beiträge in Rechnung gestellt, ein recht zuverlässiges Panorama der Gesellschaftsgeschichte von Krieg und Militär in der Frühen Neuzeit. Dazu gehört auch, dass insgesamt eher periphere Fragen, die in der herkömmlichen Kriegsgeschichte notorisch vernachlässigt worden sind, hier energisch ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Dass darüber das eigentliche Thema, der Krieg selbst, gelegentlich etwas in den Hintergrund tritt, lässt sich in Anbetracht der Fülle einschlägiger Darstellungen 4 durchaus verschmerzen. Ein wirkliches Defizit ist dagegen neben dem Desinteresse an der See die geringe Aufmerksamkeit für die waffentechnologische Entwicklung in dem behandelten Zeitraum. So kommt die Dynamik der Epoche nicht hinreichend in den Blick und alles nimmt sich viel statischer aus, als es tatsächlich gewesen ist. Wer im übrigen der begründeten Auffassung ist, dass Gesellschaftsgeschichte nicht alles sei und man gerade zum Verständnis von Militär und Krieg die Verfassungsgeschichte nicht außer Acht lassen dürfe, kann nach wie vor zu Otto Hintzes großartigem Aufsatz „Staatsverfassung und Heeresverfassung“ greifen. 5

Anmerkungen:
1 Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Mit einem Vorwort von Ulrich Raulff, Neuausgabe des Nachdrucks von 1964, 4 Bde., Berlin 2000.
2 Dazu Werner Hahlweg, Die Heeresreform der Oranier und die Antike. Berlin 1941, Gerhard Oestreich, Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Gesammelte Aufsätze. Berlin 1969, S. 11-34; ders., Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547-1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung, Göttingen 1989.
3 Vgl. Peter Paret (Hrsg.), Makers of Modern Strategy. From Machiavelli to the Nuclear Age. Princeton/N.J. 1986, sowie Beatrice Heuser, Den Krieg denken. Die Entwicklung der Strategie seit der Antike, Paderborn u.a. 2010.
4 Zu nennen ist für viele: Jürgen Luh, Kriegskunst in Europa. 1650-1800, Köln u.a. 2004.
5 Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung (1906); in: ders., Gesammelte Abhandlungen, Bd. 1: Staat und Verfassung, hrsg. von Fritz Hartung, Leipzig 1941, S. 42-73.

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16.12.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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