M. Broers: Napoleon's Other War

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Title
Napoleon's Other War. Bandits, Rebels and their Pursuers in the Age of Revolutions


Author(s)
Broers, Michael
Series
The Past in the Present 6
Published
Extent
232 S.
Price
€ 32,68
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Ina Ulrike Paul, Freie Universität Berlin

Als kindliches Versteckspiel „Räuber und Gendarm“ kennen wir noch heute, was im Zeitalter der Revolutionen ein Kampf auf Leben und Tod war: Ausgetragen wurde er zwischen konterrevolutionären, antinapoleonischen und auch kriminellen Kräften auf der einen Seite und den neugeschaffenen Polizeiorganen des revolutionären, später imperialen Frankreich und seiner Bundesgenossen in Europa auf der anderen Seite. Die „Räuber“kämpften für die traditionale Gesellschaftsordnung, ihre nationale Freiheit oder staatsferne Selbstherrschaft, die „Gendarmen“ hingegen um die Etablierung einer modernen, hierarchischen und effizienten Staatlichkeit.

Als Urbild der „Gendarmen“ darf die 1791 im revolutionären Frankreich begründete gendarmerie nationale gelten, die 1804 als „corps autonome, mobile, libre d’agir avec la promptitude et le secret de l’organisation militaire“ reorganisiert und binnen eines Jahrzehnts im gesamten französischen Einflußbereich eingesetzt, nachgeahmt und selbst nach Lateinamerika exportiert wurde.1

Anders als im Kinderspiel waren die Kontrahenten der „Gendarmen“ jedoch nicht einfach Räuber, Schmugglerbanden oder Warlords mit ihren Clans, sondern bei ihrer ersten Begegnung bäuerliche Revolutionsgegner in der France profonde, die sich zusammen mit königstreuen Adeligen und verfolgten Priestern in lokalen und regionalen Aufständen gegen die Revolution wehrten. Abwehrbewegungen gegen die Folgen revolutionärer Systemstürze gab es aber auch in all jenen Ländern Europas und seines überseeischen Einflusses, über deren Grenzen die französischen Armeen die Ideen der Freiheit auf „der Spitze der Bajonette“ (Jacques Godechot) getragen hatten – von Spanien bis zu den nordwestlichen Ausläufern des Osmanischen Reiches auf dem Balkan, von der nördlichen Grenze des französischen Empire zu Dänemark bis zur Südspitze Lateinamerikas.

Während die städtischen Eliten sich revolutionsfreundlich gaben, ließ sich die Widerstandshaltung der ländlichen Bevölkerung von Frankreich über Spanien und Tirol bis zu den Illyrischen Provinzen auf einen einleuchtenden gemeinsamen Nenner bringen: „Most people did not enjoy having the patterns of their daily lives disrupted, their taxes increased, their sons conscripted for wars about they knew little and cared nothing, their religion disparaged and dismantled, their control over their own administration stripped away by an unheralded degree of centralisation.“2

Vor diesen Ansprüchen des modernen Staates im napoleonischen Zeitalter, vor allem vor Konskription und Steuerlast, gab es für die ländliche Bevölkerung durchaus ein Entrinnen – in unzugängliche Gegenden jenseits der Heerstraßen, in Wälder und Berge, die auch Banditen und Schmugglern Schutz und Unterschlupf boten; sie stammten oft aus denselben Dörfern und sie kämpften mit denselben Waffen. In ihrem Widerstand gegen die Staatsgewalt ähnelten sich wirkliche Banditen, ländliche Rebellen und Anti-Revolutionäre zwar, doch wurden sie von Regierungsseiten auch ganz bewußt zur Trivialisierung ihrer teilweise politischen Motivation allgemein als „Banditen und Rebellen“ apostrophiert.3

Über diese Banditen, Rebellen und ihre Verfolger von Staatswegen hat der in Oxford lehrende Historiker Michael Broers eines von jenen brillanten Büchern geschrieben, die bei der Lektüre nicht den ‚Vortragenden‘ geben, sondern die sich als ideale ‚Gesprächspartner‘ darstellen –amüsant, klug und anregend. Gewandt stattet Broers den Fachleuten seinen Dank ab, deren Ideen und Forschungsergebnisse er weiterführt und zum Teil abrundet; unter ihnen sind zu nennen Eric Hobwbawn, dessen Bandits (1972) Broers‘ Darstellung einer in ihrem ländlichen Umfelddurch Familie und Klientelbeziehungen gewissermaßen embedded banditry beeinflusste, dann Alan Forrest, dem er den Terminus des „ubiquitous bandit“ verdankt, weiterhin Timothy C.W. Blanning, auf eine von dessen weit über das Zeitalter der Revolutionen hinausreichende Arbeiten zur Geschichte (Kontinental-)Europas er für die Rheinlande zurückgreift, oder Charles Esdaile, dessen Grundlagenforschungen zur spanischen Erhebung Broers bei der Beantwortung der Frage heranzieht, ob die Guerilla wirklich der heldenhafte Volkskrieg des nationalen Gedächtnisses oder doch mehr ein „bandits‘ war“ gewesen sei.4 Die Bibliographie des Italien- und Frankreich-Spezialisten Broers verzeichnet Quellen und Forschungsliteratur in vier Sprachen, zu denen die deutsche nicht gehört.

Broers untersucht das Phänomen und die Protagonisten des „other war“, dieses „anderen“ Krieg im doppelten englischen Wortsinn: Es geht um eine andere als die konventionelle Kriegsführung zwischen feindlichen Staaten und deren regulären Armeen, nämlich Partisanenkampf, guerilla, nächtliche Überfälle und Hinterhalt; und es geht um einen zweiten Krieg, der hinter den Linien des konventionellen ausbrach und in manchen Gegenden Spaniens oder des Balkan über das Ende des napoleonischen Empire hin fortdauerte. Er band erhebliche militärisch-polizeiliche Kräfte der Besatzungsmacht bzw. der neu eingesetzten Regierungen, die erstmals um die im Ancien Régime nie gelungene administrative Durchdringung ihrer Staatsgebiete rangen.

Der „andere“ Krieg bestand in der historischen Realität nicht aus einer, sondern aus unzähligen lokalen und regionalen bewaffneten Auseinandersetzungen, die aus je unterschiedlichen Motiven geführt wurden. Sie begannen in Frankreich selbst mit der brutalen Niederwerfung des Aufstands der katholisch-royalistischen Landbevölkerung in der Vendée („guerre de Vendée“), einer von ihnen wurde schon vorher auf Korsika geführt. Seitdem waren die „dirty little wars“ (Clive Emsley) von den revolutionären wie napoleonischen Kriegen und Siegen so untrennbar wie die Piraterie vom frühneuzeitlichen Dreieckshandel: Sie erhoben sich im Rücken der französischen Revolutionsarmee bei deren erstem Ausgreifen über den Rhein, brachen dann in Italien aus, wurden in Spanien zur Guerilla und strahlten aus in das spanische Lateinamerika – „a hemisphere of Brigandage“ –, ebenso in den 1809 von Österreich gewonnenen Illyrischen Provinzen.

Napoleon, so macht Broers einleuchtend deutlich, waren die sozialen wie politischen Bedingungen des „anderen Krieges“ nur zu bewußt, hatte seine Familie doch vor den korsischen Partisanen Paolis nach Frankreich fliehen müssen. Er kannte und verstand die Gesellschaft Korsikas, die bei aller Spezifik Ähnlichkeiten mit derjenigen Süditaliens, Spaniens oder Griechenlands aufwies: Armut und Abhängigkeit bestimmten sie, Patronage und Klientelismus, Clanstrukturen, Machtkämpfe, lokale Vendetta und der osmotische Austausch zwischen Banditen und Freiheitskämpfern auf dem Lande, an deren personengebundene Loyalitäten zu unterschiedlichen Zwecken appelliert werden konnte.

So wußte Napoleon auch, wo der Hebel der Staatsgewalt im Kampf mit Banditen, Partisanen und Rebellen anzusetzen war: Er ließ die paramilitärische gendarmerie impériale in Landstädten stationieren, um von dort aus auf Landstraßen und in unzugänglichen Gebieten Gesetz und Ordnung Geltung verschaffen zu lassen, wohin vordem der Arm des Staates kaum hatte greifen können. Die Gendarmerie entwickelte sich zu „the main weapon against rural disorder, wherever the Napoleonic regime helds way.“5 Obwohl Napoleon den „other war“ nicht flächendeckend in Europa gewann, sorgten doch ‚seine‘ „Gendarmen“ im Verlauf der ersten Jahrhunderthälfte des 19. Jahrhunderts dafür, daß im westlichen und mittleren Europa die Zeit der zu Volkshelden gewordenen Banditen in der Art eines Fra Diavolo oder Ali Pasha endgültig der Vergangenheit angehörte.

Kleine Einwände gegenüber Broers‘ meisterlicher Studie richten sich etwa gegen eine umfassend großzügige Definition der Banditen-Briganten-Rebellen-Räuber-Verbrecher-Freiheitskämpfer & Leute mit brigand like behaviour oder gegen stereotype Formeln wie die vom Balkan als The Bandits‘ Paradise oder der 1815 der preußischen Armee übertragenen „Wacht am Rhein“. Zudem sei für die widerständige Komplexität von kontinentaleuropäischen Friedensschlüssen und Grenzziehungen plädiert – waren „France’s Rhenish Departments“ nicht 1802/03 annektierte, 1815 an Bayern, Rheinhessen und Preußen zurückgegebene Gebiete?6 Angesichts der beredten Eleganz von Broers‘ Darstellung klingt allerdings jede Widerrede nach eigensinnigem Beharren auf der Rückerstattung der ü-Pünktchen von Innsbrück an Dulmen.7

Anmerkungen:
1 Georges Carrot, Gendarmerie impériale, in: Jean Tulard (Hrsg.), Dictionnaire Napoléon, 2. Aufl., Paris 1995, S. 785-786, hier: S. 785.
2 Broers, S. xi.
3 Broers, S. xiii f. Zu den charakteristischen gemeinsamen Merkmalen, die es den revolutionären und napoleonischen Regierungen ermöglichten “to labelany and all forms of collective rural violenceas ‘banditry’, ‘brigandage’ and ‘disorderly’ (insoumis) s. Broers, S. 23.
4 Broers, S. 109. – Nach Broers‘ Studie erschien Martin Rink, Kleiner Krieg – Guerilla – Razzia. Die Kriege des französischen “Imperiums” 1808-1848, in: Imperialkriege von 1500 bis heute, hrsg. von Tanja Büherer, Christian Stachelbeck und Dierck Walter, Paderborn u.a. 2011, S. 425-442.
5 Broers, S. 86.
6 Broers’ Satz über „France’s Rhenish departments” (193), die von den alliierten Siegern der preußischen Armee zur “Wacht am Rhein” übergeben worden sein, liegt etwas neben den Fakten.
7 Broers, S. 77, 198 bzw. S. 58.

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01.06.2012
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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