C. Bayly u.a. (Hrsg.): Giuseppe Mazzini

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Title
Giuseppe Mazzini and the Globalization of Democratic Nationalism, 1830-1920.


Editor(s)
Bayly, C. A.; Biagini, E. F.
Series
Proceedings of the British Academy 152
Published
Extent
419 S.
Price
€ 53,16
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Wolfgang Altgeld, Universität Würzburg

Mehr als sein halbes Leben hat Giuseppe Mazzini im politischen Exil: in Frankreich zuerst, länger in der Schweiz, am längsten in Großbritannien, verbringen müssen – dreieinhalb Jahrzehnte, fast ein ganzes erwachsenes Leben. Nur selten war es ihm vergönnt zurückzukehren, und eigentlich jede Heimkehr endete in politischen Niederlagen und Enttäuschungen. Jedoch bloß die letzte Rückkehr vor seinem Tod in Pisa 1872 zeigte ihn erschöpft, wenngleich keineswegs ergeben: Italien war nun ein Staat, aber ein Königreich und keine Republik, liberal-konservativ und nicht demokratisch verfasst, entstanden im Bündnis von schmalen adligen mit neuen bürgerlichen Eliten, obendrein aufgrund entscheidender fremder, nämlich französischer militärischer Intervention und nicht in einem allgemeinen nationsbildenden Volksaufstand. Er bestand darauf, dass dieses Italien nicht der einst erhoffte, schon gar nicht der von ihm erdachte Nationalstaat war, sondern dessen Verhinderung nach all den Verfolgungen, Kämpfen, Opfern der vergangenen vier Jahrzehnte. Aber die meisten der noch überlebenden einstigen Anhänger hatten ihn verlassen, neue fand er kaum mehr: Er wurde und blieb lange „die gebleichte Erinnerung“ 1 an die Wurzeln des Risorgimentos in den offiziellen und vorherrschenden semioffiziellen Geschichtsbildern und -inszenierungen. Spätere Generationen haben ihn je auf ihre Weise in den Vordergrund des nationalen Geschichtsbildes zurückgeholt – als Personifikation der moralischen Erneuerung der Nation durch sein Beispiel und seine Begeisterung von immer neuen Wellen opferbereiter junger Italiener, dann als Vordenker der Republik von 1946. Und endlich wurde er in der italienischen wie in der internationalen Geschichtsschreibung als Wegbereiter eines humanen Nationalismus vorgestellt, eines Nationalismus, dem die innere und äußere Freiheit aller Nationen: eben nicht nur die Freiheit und Macht der eigenen Nation, als das Höchste in der Welt gelten, dem deshalb der Kampf einer Nation gegen Unterdrückung und Fremdherrschaft die Sache aller Nationen in einem menschheitlichen Ringen um Freiheit, Einheit und Unabhängigkeit sein muss. Dabei ist nicht selten beinahe verdrängt worden, dass Mazzini gleichwohl in erster Linie ein italienischer Nationalist gewesen ist – so zumal von Nadia Urbinati auch wieder in diesem Band. Den kleineren europäischen Nationen hat er ohne weiteres einen Anspruch auf staatliche Unabhängigkeit und Einheit abgesprochen, noch selbstverständlicher einen Primat der Italiener im universellen Freiheitskampf unterdrückter Völker postuliert – und beides zusammen lag dann auch mancherlei präimperialistischen Aspirationen zugrunde. 2

Solch ein kosmopolitischer Nationalismus indessen war in den Anfängen von Mazzinis Laufbahn um 1830 ja ein durchaus nicht ungewöhnliches Phänomen im Ensemble europäischer Nationalbewegungen: Man denke nur an derartige Tönungen des deutschen frühen Nationalismus, manifest zum Beispiel im Philhellenismus der 1820er Jahre, in der Polenbegeisterung 1831/32 oder in den Hauptreden des Hambacher Festes. Aber der große Genueser Nationaldemokrat hat diese Seite in eigentlich singulärer Weise in immer neuen Anläufen verfochten und gegenüber zunehmenden chauvinistischen Verengungen in den Nationalbewegungen zeitlebens behauptet: als Publizist, als rastloser Briefeschreiber 3, vor allem als Initiator etlicher internationaler Verbündungen der europäischen Nationaldemokraten, beginnend mit seiner Gründung eines „Jungen Europa“ 1834 als Dachorganisation nationaler Verbände, allesamt orientiert am Modell seines „Jungen Italien“ von 1831. In dieser Beharrlichkeit wirkten sich gewiss grundlegende frühe geistige Einprägungen aus, so aus den Ideen Herders und, worauf im vorliegenden Aufsatzband Nadia Urbinati (The Legacy of Kant: Giuseppe Mazzini‘s Cosmopolitanism of Nations, S. 11-36) und Maurizio Isabella (Mazzini’s Internationalism in Context: From the Cosmopolitan Patriotism of the Italian Carbonari to Mazzini’s Concept of the Nation, S. 37-58) eindringlich hinweisen, aus der politischen Philosophie Kants. Indessen ist sie darüber hinaus sicherlich als Reflex des langen Exils: seiner besonderen Erfahrungen, Begegnungen und, nicht zuletzt, eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten, zu verstehen – im Denken Mazzinis und genauso in dem vieler seiner jungen Anhänger: politische Flüchtlinge wie er, aber auch frühen italienischen Auswanderergruppen angehörend, verstreut in manch andere Weltgegenden und nun dort engagiert in wirklichen oder bloß vermeintlichen Freiheitskämpfen. Dieses sozusagen anschlussfähige internationalistische Element und dessen aktivistische Verbreitung sicherten jedenfalls dem Nationalismus Mazzinis in und erst recht außerhalb Europas viel größere Aufmerksamkeit als dem irgendeines anderen zeitgenössischen Nationalisten.

Der von den beiden in Cambridge lehrenden Historikern Christopher A. Bayly und Eugenio F. Biagini vorzüglich redigierte und mit einem höchst nützlichen Personen- und Sachregister versehene Band enthält die ausgearbeiteten Vorträge einer großen Londoner Tagung, stattgefunden im Dezember 2005 zur Erinnerung an den zweihundertsten Geburtstag Mazzinis. Er fügt sich ein in eine ziemliche Anzahl verwandter historiographischer Unternehmungen 4, dies mit einem recht vielversprechenden Aufgebot von längst ausgewiesenen Risorgimento-Forschern und neuerdings mit einschlägigen Studien hervorgetretenen jungen Historikern zumal aus dem englischen und angloamerikanischen Raum, darunter Christopher Duggan, Lucy Riall und Roland Sarti, aus südamerikanischen Ländern sowie selbstverständlich aus Italien. Und der Band erfüllt durchaus die also recht hohen Erwartungen – zum Teil durch Bekräftigung bekannter Umstände einer sehr weiten Wirkungsgeschichte Mazzinis und des Mazzinianismus, teils durch deren neuartige Perspektivierung in Verfolgung moderner kulturgeschichtlicher Ansätze, teils aber auch durch Erschließung zuvor unbekannter Ereignisse und Zusammenhänge.

Die Herausgeber haben die insgesamt 19 Beiträge drei Oberthemen zuzuordnen versucht, wobei nicht jede Zuweisung völlig schlüssig ist. Die fünf Aufsätze der ersten Partie gelten einigen Wurzeln und praktischen Übersetzungen der „Ideologien des demokratischen Nationalismus“ im Wirken Mazzinis, die des zweiten Teils der antiklerikalen Religiosität in Mazzinis Nationalismus als solcher sowie deren Bedeutung für die Mazzini-Rezeption in Irland und England sowie für die „Erfindung“ einer nationalen italienischen Kultur (besonders interessant Rialls „The Politics of Italian Romanticism: Mazzini and the Making of a Nationalist Culture“, S. 167-186, mit beachtenswerten Beobachtungen aber auch zum propagandistischen „Netzwerk“ Mazzinis und zur symbolpolitischen Perspektivierung der von ihm initiierten Aktionen). Das dritte, mit acht Aufsätzen umfangreichste Bündel greift in seiner Titelei das Generalthema auf und verfolgt die „Globalisierung des demokratischen Nationalismus“ im und mit dem Werk Mazzinis sowie durch den Einsatz von Mazzinianern für die Schweiz und Spanien, für die im „Jungen Europa“ repräsentierten Nationen, in den USA, in Brasilien, Chile und den La-Plata-Staaten, für Indien in Fernost. Angesichts der Fülle muss hier auf Auseinandersetzungen im Einzelnen verzichtet werden. Aber nach der Gesamtlektüre drängen sich einige Anmerkungen auf. Erstens ist festzustellen, dass einige Autoren ein wenig fraglos Ideen und Politik Mazzinis mit dem sogenannten Mazzinianismus gleichsetzen, so als ob es keinerlei Differenzen zwischen den Ansätzen des Genuesen und denen namhafter „Mazzinianer“ – erwähnt seien lediglich Garibaldi und Carlo Cattaneo, letzterer vorgestellt von Jonathan Steinberg mit einem gerade in dieser Beziehung erhellenden Aufsatz („Carlo Cattaneo and the Swiss Idea of Liberty“, S. 211-235) – gegeben hätte. Zweitens trifft der modische Begriff „Globalisierung“ ja die ungefähre Reichweite der internationalen Rezeption, verstellt aber in einigen Beiträgen einen klaren Blick auf den Umstand, dass sich in den meisten europäischen und allen überseeischen Ländern doch bloß kleine und kleinste Gruppierungen, manchmal nur einzelne Intellektuelle für Mazzini, seine Lehren und Aktionen interessiert haben. Wie bedeutsam aber war diese Rezeption für breitere und endlich große Gruppen in den nationalen Bewegungen? Drittens und letztens bleibt angesichts mancher allzu euphemistischer Äußerungen zu bedenken, dass viele „Mazzinianer“ und gerade auch Mazzini als Nationaldemokraten von mindestens ebenso „bürgerlichen“, reichlich realitätsfremden Auffassungen dessen, was „das“ Volk war und was es als Nation sein sollte, ausgegangen sind wie ihre liberalen Kontrahenten in Italien und anderswo.

Anmerkungen:
1 Kathrin Mayer, Mythos und Monument. Die Sprache der Denkmäler im Gründungsmythos des italienischen Nationalstaates 1870-1915 (= Italien in der Moderne, Bd. 11), Köln 2004, S. 174.
2 Vgl. u.a. Peter Alter, Nationalismus. Frankfurt 1984, S. 33-39. Dazu jetzt auch die von Giovanna Angelini besorgte Edition von Artikeln und Briefen aus den letzten Lebensjahren: L´ultimo Mazzini. Un pensiero per l´azione. Mailand 2008, mit Belegen für seine heftige Verteidigung des „Dogmas der Nationalität“ gegen einen alternativen, „vagen Kosmopolitismus“.
3 Vgl. u.a. Wolfgang Altgeld, Giuseppe Mazzini und Gottfried Kinkel. Dreizehn Briefe und Billets aus den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts, in: Jahrbuch des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 2 (1985), S. 211-260.
4 Vgl. aus den letzten Jahre u.a. die mehrteilige Publikation der Beiträge zu einem Kongress des „Istituto Domus Mazziniana“ in Pisa: Il mazzinianesimo nel mondo, deren letzter Band im Jahr 2009 veröffentlicht worden ist. Desweiteren: Il Risorgimento italiano in America. Atti del Convegno Internazionale, Ancona 2006. Hingewiesen sei auch auf einen demnächst erscheinenden Aufsatzband zur weltweiten Auseinandersetzung mit der Figur und der Aktion Giuseppe Garibaldis, dem sicher berühmtesten, freilich seit 1849 auf Distanz gegangenen Anhänger Mazzinis, Resultat eines vom kürzlich verstorbenen Alfonso Scirocco geleiteten Kongresses in Neapel.

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21.10.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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