W. Hoffmann: Auswandern und Zurückkehren

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Title
Auswandern und Zurückkehren. Kaufmannsfamilien zwischen Bremen und Übersee. Eine Mikrostudie 1860-1930


Author(s)
Hoffmann, Wiebke
Series
Internationale Hochschulschriften 523
Published
Münster 2009: Waxmann Verlag
Extent
556 S.
Price
€ 39,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Christiane Berth, Kulturwissenschaftliche Abteilung, Universität St. Gallen

Auswandern und Zurückkehren, so betitelt Wiebke Hoffmann ihr Buch über die Lebenswelten Bremer Kaufleute in Übersee. Wie sich Arbeit und Geschlechterbeziehungen während der Auswanderung entwickelten, wie die Beziehungen zu anderen Kulturen verliefen, und welche langfristigen Folgen der Auslandsaufenthalt für die Familien hatte, sind ihre Fragestellungen.

Das Buch basiert auf der Auswertung der Nachlässe von zehn Bremer Kaufmannsfamilien, die im 19. Jahrhundert nach Zentralamerika, Westafrika, Indien, Australien und Brasilien auswanderten. Im Zentrum stehen die Korrespondenzen zwischen den Kaufleuten und ihren Ehefrauen, die Wiebke Hoffmann teils mit autobiographischen Zeugnissen konfrontiert. Als Ziel strebt sie an, „Prozesse von Transkulturalität in allen Lebensbereichen“ (S. 27) zu erforschen und beleuchtet dabei die Kontakte zwischen Europäern und Einheimischen. Sie sieht sich einer mikrogeschichtlichen Analyse verpflichtet, verwendet aber auch Ansätze aus der Körpergeschichte, der „visual history“, der Ethnologie und der historischen Anthropologie. Eine weitere wichtige Quelle sind Familienfotos aus den Nachlässen, die sie detailliert beschreibt und analysiert.

Wiebke Hoffmann präsentiert bisher weitgehend unbekannte Aspekte des Alltagslebens von deutschen Kaufleuten in Übersee. Sie analysiert zum Beispiel ausführlich, wie die Familien mit Schwangerschaft, Geburt und Erziehung umgingen, und wie sich der bürgerliche Haushalt in Übersee veränderte. Sexualität thematisierten die Ehepartner in ihren Briefen nur indirekt, weshalb Wiebke Hoffman sich bei der Analyse der Briefe auf die Wortwahl und Metaphern konzentrierte. Dabei fand sie heraus, dass Sexualität in den Korrespondenzen als eine Form von Arbeit beschrieben wird (S. 396ff.).

Im Ausland verschob sich die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen – so Hoffmanns These (S. 17). Die Ehefrauen hätten eine wichtige Rolle als Beraterinnen in geschäftlichen Angelegenheiten eingenommen. Des Weiteren waren sie für die Organisation der Hausangestellten verantwortlich, verwalteten das Haushaltsgeld und übernahmen während der Abwesenheit ihrer Ehemänner weiter gehende Verantwortung. Hoffmann zeigt, dass Sparsamkeit und die Kontrolle der Ausgaben ein wichtiges Thema in der Korrespondenz zwischen den Ehepartnern war. Die Ehefrauen ordneten ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche häufig denen der Ehemänner unter. Der geschäftliche Erfolg, der die spätere Rückkehr nach Bremen ermöglichen sollte, galt auch ihnen als übergeordnetes Ziel (S. 250).

Da die Bremer Frauen als Hausfrauen und Mütter in einer abgeschlossenen Sphäre lebten, erfolgten Kontakte in die einheimische Gesellschaft meist über die Angestellten, zum Beispiel über Dienstmädchen oder Ammen. Einerseits weist Hoffmann einen Lernprozess nach, was Sprache, lokale Einkaufs- und Ernährungsgewohnheiten sowie Hygiene betrifft. Andererseits existierten jedoch Konflikte, Missverständnisse und Sprachlosigkeit – sei es durch Ignoranz oder fehlende Sprachkenntnisse. Bei den Kaufleuten basierte der Umgang mit den fremden Kulturen auf Geschäftsinteressen, was Wiebke Hoffmanns Meinung nach einerseits zu gegenseitiger Anerkennung und Anpassung geführt habe (S. 483). Andererseits zeigt sie, dass die Bremer Kaufleute die einheimischen Gesellschaften und ihre Bevölkerung als rückständig wahrnahmen. Viele Bremer charakterisierten die Einheimischen auch nach längerem Aufenthalt noch als „Primitive“ (S. 359).

Interessant sind die Passagen über die Wahrnehmung der einheimischen Frauen: In den Korrespondenzen thematisierten die Kaufleute vor allem deren angebliche „Heißblütigkeit“, die Gefahr von Geschlechtskrankheiten sowie ihre andersartige Kleidung. Daraus folgert Hoffmann, dass die Bremer Kaufleute „auf Distanz“ blieben (S. 389). Möglicherweise ist dies der Auswahl ihrer Fallbeispiele geschuldet, denn aus Zentralamerika sind zahlreiche Belege für Beziehungen zwischen deutschen Einwanderern und einheimischen Frauen überliefert. Ein Teil der deutschen Kaufleute nutzte Heiratsallianzen als ein Mittel zur Ausweitung der geschäftlichen Beziehungen.1 Möglich ist auch, dass die Kaufleute Beziehungen zu einheimischen Frauen in der Korrespondenz verschwiegen.

Der von Wiebke Hoffmann in der Einleitung formulierte Anspruch, die „Stimmen der ‚Kolonialisierten‘ in Übersee ‚mitzuhören‘“ (S. 27), kann auf Grund der ausgewählten Quellen kaum verwirklicht werden. Sie macht zu Recht auf die blinden Flecken in den Korrespondenzen aufmerksam, füllt diese allerdings nicht durch anderes Material. Auch auf den präsentierten Fotos erscheinen die einheimischen Personen als Statisten, die auf das Zustandekommen der Situation vermutlich keinen Einfluss hatten. Wiebke Hoffmann liefert zu jedem der Fotos eine ausführliche Beschreibung, geht in ihren Interpretationen jedoch teilweise sehr weit. Ob beispielsweise ein in indigener Kleidung spielendes zweieinhalbjähriges Mädchen als Beleg dafür gewertet werden kann, dass „Indigenas keine Fremden, sondern Teil des Eigenen waren“, ist zweifelhaft (S. 331f.), zumal Hoffmann selbst auf Vorurteile gegenüber den indigenen Ammen in Guatemala verweist (S. 304).

Die Korrespondenzen werfen ein neues Licht auf Probleme, Konflikte und Schwierigkeiten, mit denen die Bremer Kaufleute in Übersee konfrontiert waren; Themen, die in autobiographischen Zeugnissen häufig ausgeblendet werden. Interessant ist dabei, dass Wiebke Hoffmann die häufig zu lesende These über die hohe Bedeutung familiärer Netzwerke im internationalen Handel in Frage stellt. Vielmehr sei es bei der Anstellung von Familienangehörigen häufig zu Streitereien gekommen (S. 146-151).

Am Ende ihrer Studie widmet sich Wiebke Hoffmann dem bisher von der Forschung stark vernachlässigten Thema der Rückkehr. Die meisten Kaufleute hatten von Anfang an eine spätere Heimkehr nach Bremen geplant. Häufig waren es ihre Ehefrauen, die vor allem wegen Problemen mit der Kindererziehung und dem tropischem Klima für eine frühzeitige Rückreise plädierten. Sie erlebten den Aufenthalt in Übersee häufig als ein „Provisorium“ (S. 512). Ihre Ehemänner dagegen kehrten oft für längere Geschäftsreisen in die Auswanderungsregion zurück, weshalb Wiebke Hoffmann sie als „Schwellenpersonen“ und „Grenzgänger“ (S. 477) kennzeichnet. In Bremen übernahmen die Kaufleute nach der Rückkehr politische und soziale Ämter, engagierten sich als Mäzene und unterhielten Kontakte zu Institutionen wie dem Bremer Überseemuseum oder dem Geografischen Verein (S. 500). Zu Beginn ihrer Studie wirft Wiebke Hoffmann die interessante Frage auf, warum der Auslandsaufenthalt nicht zu einer Reformierung der erstarrten politischen Strukturen in der Bremer Hansestadt geführt hätte (S. 54). Diese Frage bleibt leider unbeantwortet, ebenso wie die Frage nach der Transformation der hanseatischen Identitäten, die in der Einleitung angesprochen wird (S. 58f.).

Kritisch anzumerken ist, dass Wiebke Hoffman die Rahmenbedingungen in den Auswanderungsländern erst ganz zum Schluss vergleicht und nicht reflektiert, ob es jeweils spezifische Umstände gab, die die Lebenswelten der Kaufleute in den verschiedenen Regionen prägten. Das Fazit gleicht einem Sammelsurium, in dem so unterschiedliche Themen wie die Religiosität von Bürgerinnen, Weihnachtsfeiern der Kaufmannsfamilien und kaufmännische Ethik angerissen werden. Ein prägnantes Resümee der Forschungsergebnisse sucht man leider vergebens, so dass die detaillierten Fallstudien in der Luft hängen bleiben.

Anmerkung:
1 Vgl. z.B. für Guatemala: Martha Elena Casaús Arzú, Guatemala. Linaje y racismo, 3. Aufl., Guatemala-Stadt 2007, oder für Costa Rica: Eugenio Herrera Balharry, Los alemanes y el estado cafetalero, San José, C.R. 1988.

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Published on
28.01.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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