Y. Aydin: Topoi des Fremden

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Title
Topoi des Fremden. Zur Analyse und Kritik einer sozialen Konstruktion


Author(s)
Aydin, Yasar
Series
Theorie und Methode 55
Published
Konstanz 2009: UVK Verlag
Extent
260 S.
Price
€ 29,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Asli Vatansever, Doğuş Universität, Istanbul

Fremdheit ist nach wie vor ein Kernthema der öffentlichen sowie wissenschaftlichen Debatte. Wer ‚wir‘ sind oder nicht sind, die ewige Frage des Philosophierens, gewinnt im Zuge der beschleunigten Interkulturalisierung der Gesellschaften nicht nur zusehends Konjunktur, sondern wird auch explosiver denn je. Die Diskrepanz zwischen dem ‚political correctness‘ des sozialwissenschaftlichen Diskurses und der Xenophobie, die im Alltag herrscht, sticht ins Auge. Und unter welchen Bedingungen eine neutrale Feststellung der objektiven Andersartigkeit in bewusste Abgrenzung umschlägt, oder wie sich die Konstruktion des Fremden zwecks Entdeckung des Selbst nicht selten in eine feindliche Essentialisierung des Anderen und Verabsolutierung seiner Andersartigkeit umwandelt, bleibt meistens im Schatten. Diesen sozialen Konstruktionsmechanismen auf den Grund zu gehen und die Viabilität der gängigen Begrifflichkeiten der Fremdheit auf die Probe zu stellen, ist das gut gelungene Ziel des hier zu besprechenden Buches von Yaşar Aydın. Yaşar Aydın, Gastwissenschaftler bei der Migration Research Group am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), nimmt die Auseinandersetzungen der aktuellen sozialtheoretischen Ansätzen sowie der ‚Klassiker‘ der Soziologie über ‚Fremdheit‘ in den Blick und liefert eine bereichernde Darstellung der europäischen Fremdheitsdebatte am Beispiel zweier Länder, die seines Erachtens nach ökonomisch, gesellschaftlich und politisch Parallelitäten zeigen, nämlich England und Deutschland.

Um der Vielschichtigkeit des Gegenstandes gerecht werden und die unterschiedlichen Deutungsebenen sichtbar machen zu können, unterscheidet Yaşar Aydın zwischen den „affirmativen“, „neutralen“ und „pejorativen Selbst- und Fremdbeschreibungsformeln“ und fokussiert sich auf Theorien zur pejorativen Fremdheitszuschreibungen. Die Studie ist in vier Teile aufgegliedert, die jeweils die gesellschaftstheoretische Geschichte des Fremdheitsbegriffs, die Brauchbarkeit der Analyseinstrumente der klassischen Soziologie und die Strukturelemente der Fremdheitsproblematik unter die Lupe nehmen, sodass die Fremdheitsproblematik Aydıns Hauptthese entsprechend „als Ergebnis historischer Prozesse“ dargestellt (S. 19) und die Wechselbeziehung der historischen, allgemein gesellschaftstheoretischen und soziologischen Dimensionen der Fremdheitsproblematik sichtbar gemacht wird.

Ein besonderes Augenmerk richtet Aydın auf die „Kontinuitäten und Diskontinuitäten bei der Konstruktion der Fremdheitsproblematik und deren Entwicklung im europäischen Zusammenhang“. Im Hinblick auf die aktuellen gesellschaftlichen Mechanismen der Fremdheitszuschreibung lässt sich feststellen, dass die Differenzkriterien der klassischen Soziologie wie etwa Raum (Simmel), Kultur (Park), Wissen (Schütz) und Macht (Elias) zwar gültig sind, aber nicht mehr genügen, um die heutigen Fremdbeschreibungsformeln zu verstehen.

Die gesellschaftlichen Institutionen und medialen Instrumente sowie zeitweilige Interessenkonstellationen, welche negative Fremdheitszuschreibungen durch ‚Kriminalisierung‘, ‚Stigmatisierung‘ und ‚Skandalisierung‘ von Zuwanderern erzeugen können, untersucht Aydın nach ihrer Auswirkung auf die gesellschaftlichen Konstruktionen von Fremdheit und stellt fest, dass die Zuschreibungsmuster, obwohl in ihren Grundzügen ähnlich, je nach ihrer Zielgruppe Unterschiede zeigen. So sei es beispielsweise anzunehmen, dass in Deutschland „die türkischen Immigranten aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, ihres physischen Aussehens und ethnischer Merkmale kaum als Teil des vorgestellten nationalen Wir angesehen werden können“, während in Großbritannien „in erster Linie die ‚Schwarzen‘ als Problem thematisiert werden“ (S. 227).

Die praktischen Auswirkungen solcher negativen Grenzziehungen und rassenkategorischen Denkweisen stellt Aydın in zweifacher Hinsicht dar: Einerseits werden dadurch die Immigranten mit einer relativ aussichtslosen Situation konfrontiert, wo sie sich entweder für eine möglichst schnelle Eliminierung oder eine demonstrative Betonung ihrer authentischen Merkmale entscheiden bzw. die schwierige Aufgabe des Vereinens beider Kulturen in eigener Person bewältigen müssen. Andererseits verweist Yaşar Aydın auf die Implikationen der Aktualität der Fremdheitsproblematik für die Zukunft der westeuropäischen Demokratien. Es liegt nahe, dass die Demokratie, die entweder für alle oder gar nicht existieren kann, und das Ideal einer multikulturellen Gesellschaft, in der Menschen „als Gleiche und doch Verschiedene“ zusammen leben können, durch gesellschaftliche Exklusionspraktiken und negative Fremdheitszuschreibungen gefährdet werden.

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Published on
27.05.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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