N. Spakowski: Mit Mut an die Front

Title
»Mit Mut an die Front«. Die militärische Beteiligung von Frauen in der kommunistischen Revolution Chinas (1925-1949)


Author(s)
Spakowski, Nicola
Published
Köln 2009: Böhlau Verlag
Extent
420 S.
Price
49,90
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Barbara Schulte, Centre for East and South-East Asian Studies, Universität Lund, Schweden

Endlich gibt es ein Buch über die militärische Beteiligung von Frauen im kommunistischen China. Das Wechselverhältnis von Krieg und Frauen bis zur Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949 wurde bislang nur unzureichend thematisiert. Während in der Frauengeschichte häufig die Sicht auf Krieg als Störfaktor überwiegt, wird in der Militärgeschichte das Thema Frauen allenfalls stiefmütterlich und als Ausnahmeerscheinung behandelt. Nicola Spakowski wählt eine breiter angelegte Perspektive und geht der Frage nach, in welchem Verhältnis die militärische Beteiligung von Frauen zu deren Partizipationsmöglichkeiten in der Gesellschaft steht – inwieweit Krieg also auch eine Chance für einzelne Teilnehmerinnen oder gar die Frauenbewegung als solche darstellt. Bewusst erweitert der Band, der auf Spakowkis 2006 an der Freien Universität Berlin vorgelegten Habilitationsschrift basiert, den Partizipationsbegriff: Im Mittelpunkt stehen nicht allein die (quantitativ unbedeutenden) Soldatinnen, sondern jegliche Formen von weiblicher militärischer Beteiligung.

Das Buch geht chronologisch vor, beginnt mit der Nationalen Revolution (1925-1927), erstreckt sich über die Sowjetphase (1927-1934), die Krisenjahre mit Langem Marsch, Westzug und Guerillakrieg in Südchina (1934-1937) und den Antijapanischen Widerstandskrieg (1937-1945) bis zum Bürgerkrieg (1946-1949). Diese chronologische Anordnung verzahnt Nicola Spakowski mit einem typologischen Ansatz. Sie fragt danach, wie bestimmte Kriegstypen (Guerilla-, Revolutions-, Befreiungskrieg) zu militärischen Aktivitäten von Frauen in Bezug gesetzt werden können. Frauen wird in Guerilla- und wenig konsolidierten Gebieten, so Spakowskis These, ein relativ breites Rollenspektrum zugestanden, während durch die Trennung von Front und Etappe in konsolidierten Gebieten (oder gar im regulären Krieg) stärker auf eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zurückgegriffen wird.

Die Studie zielt darauf ab, die spezifischen Kontexte der militärischen Partizipation von Frauen in den verschiedenen Phasen nachzuzeichnen, die Nicola Spakowski sowohl durch institutionelle Strukturen als auch durch diskursive, teilweise konfliktreiche Verhandlungen geprägt sieht. Zu diesem Zweck zieht die Studie hauptsächlich vier Quellengattungen heran: politische Direktiven, Arbeitsberichte, zeitgenössische Zeitungs- und Zeitschriftenartikel und von den beteiligten Frauen selbst verfasste Erinnerungsliteratur. Die bearbeiteten Quellen sind eindrucksvoll umfangreich; ein Blick auf das über dreißigseitige (!) Verzeichnis chinesischsprachiger Literatur lässt den dahinter stehenden Arbeitsaufwand erahnen. (Nichtsdestoweniger ist die Unterteilung in "westlich-" und "chinesischsprachige" Literatur problematisch. Immer häufiger gibt es schließlich Autoren, die in beiden Sprachen publizieren und dann sowohl in dem einen als auch in dem anderen Verzeichnis erscheinen müssten.)

Die Analyse der einzelnen Zeiträume zeigt auf, wie unterschiedliche Diskursstränge aus verschiedenen Lagern inner- und außerhalb der Frauenbewegung miteinander verwoben wurden, um die militärische Beteiligung von Frauen zu legitimieren und voranzutreiben. Ideen von individueller Befreiung und Rechten wurden vor allem in der ersten Phase, der Experimentierphase, mit dem Ziel der nationalen Unabhängigkeit und staatsbürgerlichen Pflichten verquickt, wie auch auf Seiten der Teilnehmerinnen politische und private Motive miteinander vermischt wurden (zum Beispiel der Armeebeitritt als Flucht vor Zwangsverheiratung). Die in den kommunistischen Rückzugsgebieten neu gegründeten "Sowjets" waren vor allem durch Regellosigkeit geprägt und wiesen den geringsten Grad an geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung auf. Der Enthusiasmus der Frauen für die Revolution wurde an ihrer Kriegsbeteiligung gemessen, während ein Großteil der (bäuerlichen) Männer der Aufweichung der patriarchalischen Gesellschaftsordnung ablehnend gegenüberstanden. Die Krisenjahre zwischen 1934 und 1937 waren Zeuge einer Zweiteilung der Geschlechterrollen: In den Guerillagebieten kamen den Frauen wichtige Aufgaben zu, während sie auf dem Langen Marsch kaum eine Rolle spielten. Während des Antijapanischen Widerstandskrieges verfestigten sich die Möglichkeiten der militärischen Partizipation von Frauen, wurden aber vornehmlich in kampfferne Aktivitäten kanalisiert: "'Kämpferinnen' sollten diese jungen Frauen nur noch im übertragenen Sinne sein" (S. 215). Gleichzeitig wurden "Frauenarbeit" und ihr Bezug zu Partei und Revolution diskursiv aufgewertet und entradikalisiert, und der ökonomische Beitrag von Frauen fand stärkere Beachtung. Die geschlechtsspezifische Zuordnung von Kriegsrollen wurde schließlich in der Zeit des Bürgerkriegs zwischen 1946 und 1949 weiter vertieft und ging einher mit der "Konzeptualisierung der Kleinfamilie als gesellschaftliche[r] Grundeinheit sowie des weiblichen Kaders in der doppelten Verpflichtung von politischer Funktion und Mutterrolle" (S. 325). Die "Frauenfrage" wurde nun – ganz unfeministisch – nicht mehr als strukturelles, sondern als "Mentalitätsproblem" dargestellt, dem durch erzieherische Maßnahmen Abhilfe geschaffen werden könne.

Der Band könnte an einigen Stellen mehr Buch und weniger Habilitation sein. Der Fußnotenapparat ist teilweise überladen; an anderen Stellen verwirrt die Vielzahl von Personen und Namen, die besser Platz in einem Anhang fänden oder gar in eine Online-Quelle ausgelagert werden könnten. Auch geographische Karten würden beim Lesen der unzähligen Orte und Truppenbewegungen helfen; Photographien böten sich zur Visualisierung an. Schließlich würde ein vorangestelltes Übersichtskapitel über grundlegende Entwicklungen und Allianzen das Lesen vereinfachen, ebenso wie eine Zusammenfassung am Ende der jeweiligen Kapitel vorteilhaft wäre, in der die Autorin konzeptionelle Fragen aus der Einleitung aufgreifen könnte.

Ohne Frage besticht Nicola Spakowskis Studie durch ihren Reichtum an ausgewerteten Quellen und, damit einhergehend, die Analysen von institutionellen Strukturen der militärischen Partizipation von Frauen sowie ihrer diskursiven Verhandlung und Vermittlung. Der Detailreichtum der Studie fordert allerdings auch seine Opfer. Der Vielzahl an chinesischen Quellen stehen nur sieben Seiten "westlichsprachiger Literatur" (S. 375-81) gegenüber. Auf der Suche nach theoretischer Literatur wird man auf diesen Seiten kaum fündig. Judith Butler beispielsweise, die mittlerweile legendäre Gender-Forscherin, ist nicht aufgeführt. Eventuell gibt es dafür triftige inhaltlich-konzeptuelle Gründe, jedoch sollten diese offengelegt werden. Ohnehin wird nicht ganz klar, wie Spakowski ihr Buch in Bezug auf die feministische Forschung eingeordnet sehen will. Sie kritisiert den – zu Recht von ihr als normativ bezeichneten – "right to fight"-Feminismus (S. 5), welcher die militärische Partizipation von Frauen als Voraussetzung für die Dekonstruktion männlicher Dominationsmuster sieht. Doch welche theoretische, nicht-normative Perspektive hat Spakowski hier anzubieten, die sich nicht in der Kontextualisierung einzelner Ereignisse und Entwicklungen erschöpft, die also bei der Frage nach dem Verhältnis von militärischer Partizipation und Gender nicht einfach nur auf den jeweiligen Kontext verweist? Auch fehlen – sozusagen als 'yang' zum 'yin' – Überlegungen zu den damaligen Maskulinitätsvorstellungen und ihrem Wandel. Welchen Raum ließen diese den Konstrukteuren von Frauenbildern, wenn beispielsweise der berühmte Schriftsteller Lu Xun (1881-1936) im Jahr 1919 fragt, "wie wir heutzutage Vater sein sollen"?1

Die von Nicola Spakowski aufgeworfene Frage, wie mit der Eigendeutung seitens beteiligter Akteure umgegangen werden kann – vor allem wenn sie mit der Fremddeutung durch den Forscher kollidiert – hätte von Einsichten aus anthropologischen Arbeiten profitiert, die mit eben dieser Thematik in besonderer Weise konfrontiert sind (zum Beispiel Clifford Geertz und Lili Abu-Lughod). An diesen Punkten bleibt der Band doch zu sehr der konventionellen Geschichtsforschung verhaftet. Spakowskis Lösung in Form einer diskurstheoretisch modifizierten Sozialgeschichte, welche die Wirklichkeit als diskursiv vermittelt auffasst, ist an sich nichts Neues: Der Sozialkonstruktivismus, dem Peter L. Berger und Thomas Luckmann 2 bereits 1966 den Weg geebnet haben – auch diese bleiben in der vorliegenden Arbeit ungenannt –, ist einer der Grundpfeiler der diskursanalytischen Herangehensweise. Letztere bleibt in Spakowskis Studie theoretisch unterbelichtet; diese verzichtet auf Referenzen sowohl auf die Klassiker der Diskursanalyse (beispielsweise Michel Foucault, Norman Fairclough oder speziell für die Geschichtswissenschaften Philipp Sarasin) als auch auf ihre Unterfelder (wie zum Beispiel Diskursanalyse und Konflikt). Dem Leser wird es dadurch erschwert zu verstehen, wie die spezifische Perspektive der Diskursanalyse dazu beiträgt, das vorliegende Quellenmaterial anzugehen und zu verwerten.

Diesen Einwänden zum Trotz ist Nicola Spakowskis Studie ein längst überfälliger, wichtiger und hochinformativer Beitrag zur Militärgeschichte, Frauengeschichte und Revolutionsgeschichte, zeigt sie doch, dass die "Trias von Revolution, Verteidigung und Frauenbewegung" (S. 21) untrennbar miteinander verwoben ist: Die eine Geschichte ist ohne die jeweils anderen beiden Geschichten nicht erzählbar, auch wenn uns das allzu oft nahegelegt worden ist. Daran kann sich die Militärgeschichte, die bislang von solchen Einsichten weitgehend verschont geblieben ist, noch für einige Zeit abarbeiten.

Anmerkungen:
1 Lu Xun, Women xianzai zenyang zuo fuqin [Wie wir heutzutage Vater sein können], in: Xin Qingnian, 1.11.1919, S. 6.6.
2 Peter L. Berger / Thomas Luckmann, The Social Construction of Reality: A Treatise in the Sociology of Knowledge, New York 1966.

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10.11.2011
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