A. Gouaffo: Wissens- und Kulturtransfer im kolonialen Kontext

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Title
Wissens- und Kulturtransfer im kolonialen Kontext. Das Beispiel Kamerun - Deutschland (1884-1919)


Author(s)
Gouaffo, Albert
Series
Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft 39
Published
Extent
284 S.
Price
€ 39,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Manuela Bauche, Universität Leipzig

Kulturtransfers erfreuen sich in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften großer Beliebtheit. Insbesondere von solchen Historikern und Kulturwissenschaftlern, die zu Deutschland und Frankreich arbeiten, sind eine ganze Reihe von Studien entstanden, die die Übertragung von Konzepten, Normen und Bildern von einer Kultur in die andere untersuchen.1 Die mit dem Konzept des Transfers verbundene Idee findet sich außerdem in solchen Arbeiten wieder, die unter den Schlagwörtern „histoire croisée“, „transnationale Geschichte“ oder „entangled history“ die konstitutive Bedeutung solcher Austauschprozesse auch für Regionen betonen, die keine Nachbarstaaten darstellen, aber beispielsweise als Kolonie und „Mutterland“ miteinander verbunden waren.2 Haben Arbeiten, die unter dieser Perspektive auch außereuropäische Räume in den Blick nehmen, sich bisher weitgehend auf programmatische Äußerungen zu diesem Forschungsansatz beschränkt, so legt Albert Gouaffo mit seiner 2007 erschienenen Studie eine der wenigen Untersuchungen vor, die sich einer empirischen Untersuchung von Kulturtransfers zwischen europäischen und außereuropäischen Räumen widmen. 3 Die Arbeit, die als Habilitationsschrift im Rahmen des von Lutz Götze und Hans-Jürgen Lüsebrink an der Universität des Saarlandes betreuten Graduiertenkollegs „Interkulturelle Kommunikation in kulturwissenschaftlicher Perspektive“ entstand, nimmt sich des – so kündigt es der Titel an – „Wissens- und Kulturtransfer“ zwischen Kamerun und seinem kolonialen „Mutterland“ Deutschland zwischen 1884 und 1919 an.

In dieser Monographie führt Albert Gouaffo seine Beschäftigung mit früheren Forschungsthemen fort: Er ist promovierter Germanist an der Universität Dschang in Westkamerun und Mitherausgeber der Zeitschrift Mont Cameroun, die Beiträge zu kulturellen Verschränkungen zwischen Deutschland und Afrika versammelt. Es ist die „interkulturelle Dimension der deutsch-afrikanischen Beziehungen“ (S. 11), die er erkunden möchte – so Gouaffo im Vorwort seines Buches. Dabei geht er davon aus, dass Deutschland und Kamerun in einem „gegenseitigen Bedingungsverhältnis“ (S. 11) zueinander standen, weshalb Kamerun nicht nur als Empfänger eines von Deutschland ausgehenden Exports an Kultur betrachtet werden könne, sondern ebenfalls die von Kamerun ausgehenden Impulse in den Blick genommen werden müssen. Damit bildet Gouaffos Arbeit nicht nur auf dem Gebiet des Kulturtransfers zwischen europäischen und außereuropäischen Welten eine seltene empirische Studie, sondern setzt sich auch zum Ziel, die ebenso häufig angemahnte wie selten umgesetzte Berücksichtigung der „Rückwirkungen“ von der Kolonie in die Metropole ernst zu nehmen. Gouaffo illustriert nämlich, dass die Produktion von Wissen über außereuropäische Räume, so auch über Kamerun, und das Selbstverständnis westeuropäischer „Zivilisation“ sich gegenseitig bedingten.

Den Rückwirkungen spürt Gouaffo nach, indem er das Veröffentlichen über „die Anthropologie Kameruns“ (S. 16) untersucht. Wer lieferte welche Art von Beschreibung, in welchen Bereichen wurden diese in Deutschland veröffentlicht, wie wurde dieses Wissen über Kamerun und Kameruner in Deutschland rezipiert und welche gesellschaftlichen Anliegen lassen sich aus dieser spezifischen Rezeption herauslesen – dies sind die Fragen, denen er nachgeht. Die Grundlage dafür liefern Artikel aus kolonialen Zeitschriften, koloniale Belletristik mit Kamerun-Fokus sowie Dokumentationsmaterial über in Deutschland stattgefundene Völkerschauen, an denen Kameruner beteiligt waren.

Im ersten, kleineren der beiden Teile der Arbeit liefert Gouaffo zunächst einen Abriss über die Institutionen, Personengruppen und Publikationen, die als „Träger“ bzw. „Mittler“ von Kultur- und Wissenstransfer zwischen Kamerun und Deutschland fungierten. In knapp gehaltenen Abschnitten wird ein Überblick über die Aktivitäten und Publikationen unter anderem von Missionsgesellschaften, der Deutschen Kolonialgesellschaft, kolonialer Handelsgesellschaften, kolonialer Reisender sowie kolonialer Presseorgane geliefert.

Der zweite Teil der Studie liefert die eigentliche Analyse. In drei Kapiteln wird die Darstellung von Kamerun und seinen Bewohnern zunächst in kolonialer Belletristik, dann in der Presse, schließlich in Zuschaustellungen von Kamerunern in Völkerschauen und Gewerbeausstellungen untersucht. Hervorzuheben ist hier Gouaffos Analyse dreier zwischen 1887 und 1913 erschienener Romane 4 (Kap. 1), deren Handlung in Kamerun spielt. Hervorzuheben vor allem wegen Gouaffos Aufdeckens von Erzählstrategien, die dem Erzähler der Romane eine unhinterfragbare Autorität als Experte zuweisen. Dazu gehören nicht nur das Einstreuen von Hinweisen auf die Kompetenz des Erzählers als ehemaliger Lehrer, sondern auch das Oszillieren zwischen Nahebringen der kamerunischen Landschaften einerseits (nämlich durch Vergleiche mit der deutschen Pflanzen- und Tierwelt) und ihrer Verfremdung andererseits (durch Einstreuen von Begriffen aus kamerunischen Sprachen).

Im zweiten und dritten Kapitel wird das Argument, das im ersten bereits anklingt, weiter ausgebaut, nämlich die These, dass die Präsentation und Beurteilung von Kamerunern sowohl in der kolonialen Presse als auch in den Inszenierungen von Kamerunern auf Völkerschauen der Abgrenzung und dem Aufbau einer nationalen deutschen Identität diente. Zunächst (Kap. 2) arbeitet Gouaffo aus einer Auswahl aus Artikeln aus dem vom Auswärtigen Amt herausgegebenen Deutschen Kolonialblatt, der Deutschen Kolonialzeitung, zwei Missionszeitschriften 5 und einer völkerkundlichen Zeitschrift 6 heraus, dass die darin zu findenden Charakterisierungen von Kamerunern erstens geographische Grenzziehungen zwischen Bewohnern der Küste, der Wald-, Gras- und Steppenregionen implizierte und zweitens stets einen Rückbezug zur deutschen Gesellschaft, die entweder als das unsichtbare Gegenstück zu den „Heiden von der Küste“ und den „Wilden aus dem Wald“ diente oder als Vergleichsfolie für die als fleißig gelobten Graslandbewohner bzw. für die für ihren militärischen Habitus bewunderten Steppenbewohner. Heidentum, Polygamie, Sklavenhandel, Jagd, Tanz und materielle Kultur identifiziert Gouaffo als stets wiederkehrende Marker zur Herstellung „kultureller Fremdheit“.

Im letzten Kapitel (Kap. 3) werden neben schriftlichen Dokumenten auch Abbildungen herangezogen, um die Inszenierungen in Völkerschauen und Gewerbeausstellungen zu analysieren. Auch hier hebt Gouaffo hervor, dass Werbeanzeigen auf die vermeintliche Fremdheit der zur Schau gestellten Kameruner fokussierten. Anregendere Ergebnisse liefert seine Analyse einer Fotografie des 1886 in der Berliner Vergnügungsstätte „Flora“ zuschaugestellten Prinzen Dido von der kamerunischen Küste, weil sie das bewusste Inszenieren von Fremdheit aufdeckt: Auf dem Bild ist Dido in Frack und Zylinder abgelichtet, trägt aber anstelle der erwartbaren Anzugshose ein Wickeltuch und ist barfüßig. Gouaffo argumentiert unter Zuhilfenahme schriftlicher Quellen zur Ausstellung, dass dem Prinzen sein ausdrücklicher Wunsch, in einem kompletten Anzug vor dem Publikum zu erscheinen, verwehrt wurde, um ihn für das Publikum eindeutig als kolonisierten Afrikaner und damit als fern des Eigenen zu markieren. Gouaffos Deutung einer weiteren Abbildung Didos freilich ist strittiger: Während er das Familienporträt, das den Prinzen auf einem Stuhl sitzend, umrahmt von seinen beiden Frauen und seinem kleinen Sohn zeigt, als eines liest, das in erster Linie Differenz herstellt, weil es mit den beiden Frauen auf die in Deutschland geächtete Institution der Polygamie hinweise, lässt sich das Foto ausgehend von seiner Komposition, der Inszenierung von Körperhaltungen, Körperkontakt und Blicken auch als klassisches, bürgerliches Familienporträt lesen – und damit weniger als Verfremdung, denn als Aneignung, Inkorporation oder Umdeutung Didos in bürgerliche Ideale. Hier hätte die angekündigte Bildanalyse eingehender und selbstkritischer gegenüber eigenen Erwartungen vorgenommen werden können.

Im knappen Fazit fasst Gouaffo abschließend zusammen, was für ihn den Kern der kulturellen Beziehungen zwischen Kamerun und Deutschland ausmacht, nämlich dass die exotisierende Darstellung Kameruns „zum Nationenbildungsprozess Deutschlands produktiv beigetragen“ habe, weil sie die Möglichkeit einer Abgrenzung bot. Schade, dass dabei Prozesse der Gleichsetzung, die vorher herausgearbeitet worden waren – etwa die Analogie-Bildung zwischen kamerunischer und deutscher Natur in der kolonialen Belletristik – plötzlich unter den Tisch fallen. Deuten sie doch an, dass das Verhältnis zwischen Kolonie und Metropole mehr Dimensionen aufwies als das Herstellen einer einfachen Differenz. Auch drängt sich bei der Lektüre ab und an die Frage auf, ob die Studie unter dem Label „Repräsentationen“ nicht besser aufgehoben wäre als unter dem Aushängeschild „Transfer“: Schließlich stehen in der Arbeit die Inhalte und Semantiken deutscher Kamerun-Darstellungen im Vordergrund, während die Prozesse, durch welche diese Darstellungen innerhalb des „Nationenbildungsprozess Deutschlands“ integriert wurden, keiner Untersuchung unterzogen werden. Dennoch ist es Gouaffos Verdienst, ein konkretes Beispiel für die so häufig beschworenen Rückwirkungen von der Kolonie auf die Metropole geliefert zu haben.

Anmerkungen:
1 Z.B.: Michel Espagne, Michael Werner (Hrsg.), Transferts. Les relations interculturelles dans l´espace franco-allemand (XVIIe et XIXe siècle), Paris 1988; Michel Espagne, Matthias Middell (Hrsg.), Von der Elbe bis an die Seine. Kulturtransfer zwischen Sachsen und Frankreich im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 1999; Hans-Jürgen Lüsebrink, Rolf Reichardt (Hrsg.), Kulturtransfer im Epochenumbruch Frankreich-Deutschland 1770 bis 1815, Leipzig 1997.
2 Siehe u.a. die Beiträge in: Sebastian Conrad, Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871 – 1914, 2. Aufl. Göttingen 2006; Sebastian Conrad, Shalini Randeria (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt/Main 2002; Frederick Cooper, Ann Laura Stoler (Hrsg.), Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World [Nachdr.], Berkeley 2001; Birthe Kundrus (Hrsg.), Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus (= Ergebnisse einer internationalen Tagung an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg im November 2001), Frankfurt/ Main 2003.
3 Andere Ausnahmen bilden u.a.: Sebastian Conrad, „Eingeborenenpolitik“ in Kolonie und Metropole. "Erziehung zur Arbeit" in Ostafrika und Ostwestfalen, in: ders., Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871 – 1914, 2. Aufl. Göttingen 2006, S. 107–128; Paul Rabinow, French Modern. Norms and Forms of the Social Environment, Cambridge, Mass. 1989; Gwendolyn Wright, Tradition in the Service of Modernity. Architecture and Urbanism in French Colonial Policy, 1900-1930, in: Frederick Cooper, Ann Laura Stoler (Hrsg.), Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World [Nachdr.], Berkeley 2001, S. 322–345.
4 Carl Falkenhorst, In Kamerun. Zugvogels Reise- und Jagdabenteuer. Der reifen Jugend erzählt, Leipzig 1897; Heinrich Norden, Der Neffe des Zauberers. Eine Erzählung aus Kamerun, Basel 1913; Jesco von Puttkamer, Das Duallamädchen. Roman, Leipzig 1908.
5 Der evangelische Heidenbote. Organ der evangelischen Missionsgesellschaft in Basel (1828-1955); Der Stern von Afrika. Illustrierte Monatsschrift zur Verbreitung des Glaubens. Vereinsorgan der Pallotiner (1894-1921).
6 Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde. Mit besonderer Berücksichtigung der Anthropologie und Ethnologie (1862-1910).

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11.12.2009
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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