M. Richardson u.a. (Hrsg.): Weimars transatlantischer Mäzen

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Title
Weimars transatlantischer Mäzen: die Lincoln-Stiftung 1927 bis 1934. Ein Versuch demokratischer Elitenförderung in der Weimarer Republik


Editor(s)
Richardson, Malcolm; Reulecke, Jürgen; Trommler, Frank
Published
Extent
222 S.
Price
€ 22,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Thomas Adam, Department of History, University of Texas Arlington

Bei dem hier zu besprechenden Buch handelt es sich um eine Zusammenstellung von drei Aufsätzen und einer Dokumentensammlung aus der Geschichte der Abraham Lincoln-Stiftung. Der zentrale Aufsatz von Malcom Richardson erzählt die Geschichte dieser von der Forschung bisher wenig beachteten Stiftung, während die beiden Aufsätze von Frank Trommler und Jürgen Reulecke den Kontext für das Wirken der Lincoln-Stiftung untersuchen. Die Dokumentensammlung umschließt den Bericht von Geoffrey Winthrop Young (Oktober 1926), der zur Gründung der Lincoln-Stiftung führte, eine Bestandsaufnahme der Stiftungsarbeit (1930), sowie die Stellungnahmen einzelner Stipendiaten, die in der Festschrift für Young veröffentlicht wurden. Daran schließt sich ein Anhang der 63 Stipendiaten sowie der Mitglieder des Vertrauenskreises der Lincoln-Stiftung (1928) an.

Die Ende 1927 von einer Gruppe bedeutender deutscher Geschäftsleute und Pädagogen mit Unterstützung eines Vertreters der Rockefeller Stiftung gegründete Abraham Lincoln-Stiftung wurde ab 1928 von dem Laura Spelman Rockefeller Memorial der Rockefeller Stiftung finanziert. Um den Eindruck eines kulturellen Imperialismus zu vermeiden, bestand die Rockefeller Stiftung jedoch darauf, dass diese Zuwendungen geheim gehalten wurden. Es ging darum, die Lincoln-Stiftung gegen mögliche Vorwürfe in Schutz zu nehmen, sie stelle eine unzulässige amerikanische Einmischung in deutsche Kulturangelegenheiten dar. (S. 26) In den wenigen Jahren ihres Wirkens und mit einem sehr begrenzten Finanzvolumen, das zuerst nur von der Rockefeller Stiftung stammte, später in geringem Ausmaße auch Zuschüsse der deutschen Regierung ergänzt wurde, rekrutierte die Stiftung eine Reihe von begabten und couragierten Intellektuellen als Vertrauensdozenten und Stipendiaten.

Ein wesentlicher Ansatzpunkt für die Stiftungsgründung und die Förderpraxis war nicht nur Youngs Entsetzen über die anti-demokratische Ausrichtung des Lehrpersonals an deutschen Universitäten, sondern auch seine Kritik an dem Klassencharakter des deutschen Bildungssystems, in dem eine Universitätslaufbahn eng mit der Herkunft aus bürgerlichen und aristokratischen Schichten verbunden war. Young ging es aber um viel mehr. Für ihn war die Gründung der Lincoln-Stiftung nur ein Ausgangspunkt für die Einrichtung vergleichbarer Stipendienstiftungen in anderen Ländern. Den Auftrag des Laura Spelman Rockefeller Memorials aufgreifend, die internationale Verständigung wieder zu beleben, aufgreifend, hoffte Young auf die Errichtung eines internationalen Netzwerkes von nationalen Stiftungen in den verschiedenen europäischen Staaten. Jede nationale Stiftung für sich würde junge, international gesinnte Akademiker auswählen, und die Stipendiaten aus allen Ländern könnten auf internationalen Kongressen, ähnlich denen der deutschen und britischen Jugendbewegungsorganisationen, zusammentreffen und Probleme aus Bildung, Gesellschaft und internationaler Politik diskutieren. (S. 25)

In ihrem Vorwort verweisen die Autoren auf die Aktualität der hier behandelten Thematik – des stifterischen Engagements für Bildungszwecke – das sich in Konkurrenz zum staatlichen Agieren entfaltete und entfaltet. Das Agieren der Lincoln-Stiftung gilt den Autoren im Kontext der Weimarer Republik und der weit verbreiteten Demokratiefeindlichkeit unter den deutschen Akademikern als eine Chance, demokratisch gesinnte Akademiker zu fördern und damit die Weimarer Republik zu stabilisieren. Demokratisch gesinnte Akademiker fanden sich aber vor allem im linken Spektrum der Weimarer Republik. Richardson und Trommler ordnen nicht nur die Mehrzahl der Stipendiaten, sondern auch die Vertrauensdozenten diesem linken und reformorientierten Spektrum zu. So bemerkt Trommler, dass sich die von Young empfohlene Liste der Vertrauensdozenten vom Februar 1928 „fast wie ein ‚Who is Who?‘ liberaler Bildungs- und Verwaltungsprominenz der Weimarer Republik“ (S. 72) liest. Unter den Vertrauensdozenten der Stiftung befindet sich folgerichtig fast die gesamte Riege der Bildungsreformer von Georg Kerschensteiner über Walter Hofmann bis zu Hermann Heller. Sieht man einmal von solch schillernden Persönlichkeiten wie Hans Freyer ab, dann bestätigen die Autoren, dass die demokratischen Stützen der Republik eben auf der linken Seite standen. Auch wenn die Stiftung einen liberalisierenden Effekt hatte, bleibt es fraglich, ob sie der Demokratie fern stehende Intellektuelle an die Demokratie heranführten oder ob sie eine eher stabilisierende Funktion für die Gruppe derjenigen Intellektuellen erfüllte, die sich bereits grundsätzlich für die Demokratie entschieden hatten. Dies scheint auch durch die Rolle der Lincoln-Stiftung in der Phase der Weltwirtschaftskrise deutlich zu werden. Wie Richardson herausstellt, wurde die zwar kleine und unterfinanzierte Stiftung zu einer nicht unbedeutenden Stütze für das deutsche Bildungswesen und vor allem für Studenten aus Arbeiterfamilien.

Nach 1930 unterstützte die Lincoln-Stiftung dann aber auch Stipendiaten, die der Weimarer Republik gegenüber eine ablehnende Haltung einnahmen. Richardson verfolgt in seinem Aufsatz exemplarisch die politischen Lebensläufe einzelner ausgewählter Stipendiaten, die sich zuerst der völkischen/nationalistischen und später dann der NS-Bewegung anschlossen. Unter diesen befand sich zum Beispiel Heinrich Rocholl, der sich in den 1920er- Jahren noch für einen Studentenaustausch zwischen Deutschland, England und Frankreich einsetzte, um eine gegenseitige Achtung und Anerkennung unter der neuen Generation zu wecken, sich dann unter dem Eindruck der Weltwirtschaftkrise aber auf nationalistisches Denken zurück zog und 1933 der NSDAP beitrat. Ein weiteres Beispiel ist Heinrich Rogge, der der Lincoln-Stiftung auffiel, weil er über internationales Recht in der Sprache des Pazifismus schrieb. (S. 48) Doch schon in den 1920er Jahren betrachtete er den Versailler Vertrag als ein Diktat und näherte sich in den kommenden Jahren mehr und mehr der Propaganda der Nazis an. Nach 1933 verfasste er dann polemische Verteidigungen der deutschen Außenpolitik. Diese Beispiele lassen wohl deutlich werden, dass die Förderung durch die Lincoln Stiftung nur ein Element in der Formung politischer Ansichten ausmachte. Auch wenn Stiftungen wie die Lincoln-Stiftung ohne Frage eine liberalisierende Wirkung anstrebten, so kann diese doch wohl immer nur als Potential und nicht als Garantie gesehen werden.

Insgesamt leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion darüber, ob private Philanthropie für wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Ziele als Alternative zur traditionellen Politik oder als ein Kontrollinstrument herrschender Eliten verstanden werden soll. (S. 8) So verweisen die Autoren auf das Demokratiepotential, das von dem Wirken der Lincoln-Stiftung ausging, und Trommler erinnert den Leser auch an den Beitrag amerikanischer Stiftungen zur Förderung demokratischer und west-orientierter Eliten in der Bundesrepublik nach 1945. Von diesem Band mit seiner Fokussierung auf die Lincoln-Stiftung können aber auch wichtige Impulse für die weitere Erforschung des Stiftungswesens insbesondere im Bildungsbereich sowie für die Integration der Forschungen zum Stiftungswesen in die allgemeine deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ausgehen.

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27.02.2009
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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