P. K. Crossley u.a. (Hrsg.): Empire at the Margins

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Title
Empire at the Margins. Culture, Ethnicity, and Frontier in Early Modern China


Editor(s)
Crossley, Pamela Kyle; Siu, Helen F.; Sutton, Donald S.
Series
Studies on China
Published
Berkeley, CA/Los Angeles/London 2006: University of California Press
Extent
378 S.
Price
£ 32,95
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Ines Eben von Racknitz, Fachbereich Geschichte und Soziologie, Universität Konstanz

Die Frage, mit welchen Strategien und Mitteln die Herrscher der Qing-Dynastie (1644-1911) ihre Herrschaft über ein multiethnisches Reich ausbauten und legitimierten, erhielt seit Mitte der 1990er-Jahre neue Impulse. Die bis dahin von Ho Ping-ti und anderen vertretene These, dass das Erfolgsgeheimnis der Qing-Herrschaft die „Sinisierung“ ihrer Herrscher gewesen sei, erschien zunehmend fragwürdig. So stellte beispielsweise Evelyn Rawski 1996 einen Gegenentwurf vor, demzufolge, vereinfacht dargestellt, China nicht das explizite „Zentrum“ des Qing-Reiches gewesen sei, wobei diese Dezentralisierung bedeutend zu Machtausbau und Konsolidierung der Qing-Herrschaft beigetragen habe. Während Ho Pingti also die Gemeinsamkeiten der Qing- zur vorhergehenden Ming-Dynastie (1368-1644) betonte, standen für Rawski die Unterschiede im Vordergrund.1

Die Auseinandersetzung der beiden Historiker war sicherlich nicht der Auslöser, aber doch ein Indiz sich verschiebender Forschungsparameter. Zur Debatte stehen nun nicht mehr Fragen nach Gemeinsamkeiten, sondern vielmehr nach den Unterschieden der Qing zu früheren Dynastien, nach ihrem Erfolg sowie nach dem Charakter ihres Herrschaftsgefüges. In den letzten zehn Jahren sind einige bedeutende Veröffentlichungen unter den Auspizien jener Fragen erschienen, und die „New Qing History“ wie Joanna Waley-Cohen sie in einer Sammelrezension 2004 nennt, scheint etabliert.2

„Empire at the Margins“, erschienen 2006, erscheint somit wie ein Rückblick auf die Zeit der Anfänge und versammelt ausgearbeitete Papers, die erstmals im Mai 1996 auf einer Konferenz am Dartmouth College präsentiert wurden. Im Zentrum steht die Frage, welche Bedeutung und Struktur das Konzept von Ethnizität in der Qing (im Unterschied zur Ming) hatte. Welche Rolle übernahm der Staat bei der Assimilierung und Kontrolle von als „fremd“, aber dennoch als „Objekt“ des Imperiums betrachteten Bevölkerungen? Wer war an den formativen Diskursen beteiligt, wann wurde die als einer Ethnie „typisch“ geltende Zuschreibung anerkannt, und wie wurde Druck ausgeübt (S. 3)? Die Verfasser legen ihren Untersuchungen einen flexiblen Ethnizitätsbegriff (S. 1) zugrunde, demzufolge ethnische Kategorien Konstrukte sind, bei denen ein gewisses, dem Kontext entsprechendes Repertoire an „Integrationstechniken“ zum Einsatz kommt. Dazu gehört zum Beispiel eine Rhetorik der Zivilisierung (S. 10), aber auch die Historisierung im Sinne der Qing (S. 13). Die Erfassung in Katastern war ein weiteres Mittel, mit welchem man die Fremdvölker aus Objekten in Subjekte zu verwandeln versuchte. Von besonderer Bedeutung sei die Untersuchung der Grenzgebiete, denn: „...the malleability of boundaries was a central element in the dynamic processes generating ethnicity“ (S. 20).

Die 10 Aufsätze werden in vier Kapiteln zusammengefasst, die sich, ausgehend vom „Herz des Imperiums“, in konzentrischen Ringen an die äußeren Ränder imperialer Durchsetzung bewegen.
Im ersten Kapitel „Identity at the heart of the Empire“ befasst sich allerdings nur Mark C. Elliott mit den Mandschu. Er untersucht die Rolle der „Acht Banner“ (chinesisch: ba qi, mandschurisch: jakun gusa) im Verlauf der Qing-Herrschaft (S. 29). Ursprünglich die militärische Elite des Qing-Staates, entwickelten sie sich zu einem hybriden multiethnischen Gebilde mit politischen, administrativen, wirtschaftlichen und sozialen Funktionen. Während des 18. Jahrhunderts verwandelten sie sich von einer „dynastischen“ zu einer „mandschurischen“ Einrichtung, wobei ihre staatliche Institutionalisierung eine wesentliche Rolle bei der Prägung mandschurischer Identität spielte.

Die Integration und gleichzeitige Anerkennung durch die Mongolen war ein bedeutender Faktor in der Legitimierung der Qing. Pamela Kyle Crossley zeigt, wie die Qing-Herrschaft die mongolischen Völker einte, indem sie nicht nur die mongolische Sprache und religiöse Affilierung offiziell institutionalisierte, sondern insbesondere die Abstammung von Dschingis Khan zum Kriterium mongolischer Identität machte (S. 79). Die von den Qing aufgestellten „Identitätsbedingungen“ wiesen dabei eine hinreichende Kongruenz mit bereits vorhandener historischer Ideologie auf, um ohne Anwendung von Waffengewalt überzeugend zu sein. So war die Tolerierung einer mongolischen Identität mit der Herrschaft einer supranationalen Entität wie den Qing kompatibel.

Jonathan N. Lipman befasst sich mit der Integration der Muslime in das Qing-Reich. Diese wurden aus der Sicht der Qing als ein „fierce and brutal people“ konstruiert, wobei die Differenz zwischen der kaiserlichen Wahrnehmung der Muslime und den lokalen Gegebenheiten dazu beitrug, dass keine einheitlichen Richtlinien für die Beziehungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen aufgestellt werden konnten. Stereotypisiert wurden sie als das „wildeste“ und dezentralste Volk des Qing-Reiches, dessen gesetzlicher Status unklar blieb (S. 105).

Das zweite Kapitel („Narrative Wars at the New Frontiers“) lenkt den Blick auf die Peripherie des Qing-Reiches. James A. Millward und Laura J. Newby zeigen, dass die Qing die Muslime in Xinjiang nicht zu „sinisieren“ versuchten, sondern kulturelle Vielfalt duldeten, soweit sie ihre Macht nicht untergrub, und obendrein zur Entstehung einer eigenen Gruppe, der Uiguren, beitrug. Mit der Integration der Südwestgrenze (Guizhou, Yunnan und Süd-Sichuan) in das Qing-Reich befasst sich John E. Herman. Die Reformen der frühen Qing sollten zum einen die Kontrolle über die außerhalb der Qing-Bürokratie stehenden lokalen Eliten der Grenzvölker (tusi) verstärken und diese andererseits als politische und kulturelle Mittelsleute zwischen dem China der Qing und seinen Grenzvölkern zu etablieren (S. 161). Macht wurde dort, wo der Staatsapparat schwach oder sogar gänzlich abwesend war, nicht durch ein „imperiales Projekt“ erzeugt, sondern vielmehr durch die Vermittlung lokaler Machthaber.

Das dritte Kapitel „Old Contests of the South and Southwest“ wird von David Faure mit einem Aufsatz eröffnet, der die Bedeutung der Zuweisung einer ethnischen Identität im kaiserlichen Katasteramt als bedeutendes Merkmal ihrer Konstruktion betont. Donald S. Sutton thematisiert die Qing-Politik gegenüber den Miao unter Yongzheng und Qianlong. Eine klar definierte Strategie der Qing zur Integration der Miao (die in sich selbst keine Einheit waren) ist nicht erkennbar; es blieb daher eine große kulturelle Fluidität bestehen (S. 219). Unbestritten aber ist der Beitrag der Qing zum engeren Zusammenschluss der Miao, wobei die gemeinsame Sprache, religiösen Praktiken und die Mischehe die Grundlage bildeten. Eine besondere Loyalität zur Qing-Dynastie entstand dabei nicht. Dennoch zögert Sutton, die Rebellion von 1795 als gegen die Qing gerichtet zu bezeichnen, da ihre Ursache vielmehr der Protest gegen die Methoden der lokalen Han-chinesischen Siedler und die zahlreichen Aggressionen der Armee zu suchen sei (S. 220). Anne Csete greift bei der Untersuchung der Interaktion chinesischer Siedler mit der einheimischen Bevölkerung von Hainan (1644-1800) das Motiv wieder auf, dass die Zentralpolitik der Qing die ethnische Zugehörigkeit der indigenen Bevölkerung zwar veränderte, aber oft im Widerspruch zu lokalen Gegebenheiten stand, woraus Konflikte entstanden.

Im letzten Kapitel „Uncharted Boundaries“ befasst sich zunächst Chan Wing-hoi mit der ethnischen Gruppe der She und greift dort wieder das Thema der Rolle der staatlichen Verwaltung bei der Prägung ethnischer Identität auf. Helen F. Siu und Liu Zhiwei befassen sich mit dem Zusammenhang von Umwelt und ethnischer Prägung. Im Ergebnis hatten “the reworking of an ethnic hierarchy in Zhigang […] a great deal to do with state policies that provided options for or imposed restrictions of mobility on the floating population. However, local circumstances in the development of the sands have allowed a great deal of room for maneuvering.” (S. 307)

In einer Zusammenfassung (die im übrigen sehr viel leichter verständlich ist als die teils redundante Einleitung) werden noch einmal präzis die Ergebnisse der einzelnen Beiträge aufgeschlüsselt. Gleichzeitig wird ein eventuelles Fortwirken der von der Qing-Dynastie verfolgten „politics of ethnicity“ bis ins 20. und 21. Jahrhundert skizziert. Aus dieser Perspektive werden neue Fragen gewonnen, z.B. inwiefern die Unruhen des 19. Jahrhunderts tatsächlich „ethnischen Spannungen“ zugeschrieben werden können. Die einzelnen Beiträge lassen den Leser aus der Perspektive der verschiedenen Regionen am Entstehungsprozess des Qing-Reichs teilnehmen. Andererseits aber wird die Tatsache, dass einige der Autoren zu ähnlichen Ergebnissen kommen, in der Kapiteleinteilung nicht berücksichtigt, sondern zeigt sich erst in der Zusammenfassung. Zu wenig wurden auch jüngste Forschungsentwicklungen berücksichtigt: Seit 1996 hat sich die „New Qing History“ stark weiterentwickelt, und viele der Autoren des Sammelbandes haben Werke vorgelegt, in denen sie die 1996 noch neuen Thesen ausführlich begründen. Der jüngste Titel aber, den die Bibliographie aufführt, stammt aus dem Jahr 2002. Insgesamt kann dieses Buch als Einführung in die hochkomplexen Zusammenhänge von Ethnizität und Empire jedoch sehr empfohlen werden.

Anmerkungen:
1 Ping-ti, Ho, The Significance of the Ch’ing Period in Chinese History, in: Journal of Asian Studies 26 (1967), S. 189-195; Rawski, Evelyn, Presidential Adress: Reenvisioning the Qing. The Significance of the Qing-Period in Chinese History, in: Journal of Asian Studies 55 (1996), S. 829-850.
2 Waley-Cohen, Joanna, New Qing History, in: Radical History Review 88 (2004), S. 193-206.

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10.07.2008
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