W. G. Schwanitz (Hrsg.): Deutschland und der Mittlere Osten

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Title
Deutschland und der Mittlere Osten im Kalten Krieg.


Editor(s)
Schwanitz, Wolfgang G.
Series
Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 16 (2006) 2
Published
Extent
170 S.
Price
€ 12,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Stefan Meining, Woodrow Wilson International Center for Scholars, Washington DC

Deutschland und der Mittlere Osten im Kalten Krieg, nennt sich der zweite Teil der von Wolfgang G. Schwanitz herausgegebenen Serie historischer Aufsätze, die den Zeitrahmen der frühen Nachkriegsjahre bis zum Ende der DDR behandeln. Am Anfang steht hierbei ein Orientierung suchendes Deutschland im politischen und moralischen Trümmerfeld des Zweiten Weltkrieges. Aus diesem zerstörten Deutschland erwachsen im Kalten Krieg zwei deutsche Staaten, die demokratische Bundesrepublik Deutschland und die sozialistische DDR. Im Spannungsfeld dieser beiden deutschen Staaten, eingebettet in die großen Konfliktlinien zwischen den Supermächten USA und UdSSR entsteht im Laufe der Jahre und Jahrzehnte ein mannigfaltiges Beziehungsgeflecht politischer, wirtschaftlicher, aber auch menschlicher Beziehungen in einer höchst wechselhaften wie widersprüchlichen Region. Freilich, es wäre vermessen im Rahmen eines Bandes die gesamte Breite dieser deutsch-deutsch-mittelöstlichen Verhältnisse abzuhandeln. Dem Herausgeber obliegt deshalb die Aufgabe, aus der Fülle des Stoffes auszuwählen, Schwerpunkte zu setzen und zu gewichten.

Zwei Aufsätze des vorliegenden Bandes schlagen einen großen Bogen in die Gesamtgeschichte des 20. Jahrhunderts, also weit über den engeren Zeitrahmen des Kalten Krieges. Beide Aufsätze stammen aus der Feder des Herausgebers Wolfgang G. Schwanitz und zeichnen sich durch Fülle und Vielfalt der verwendeten Quellen sowie die innige Vertrautheit des Autors mit dem behandelten Stoff aus.

In seinem ersten Beitrag setzt sich Schwanitz mit den deutsch-deutsch-ägyptischen Beziehungen auseinander. Ägypten, das größte und wohl noch immer bedeutendste arabische Land, brach im Lager der Alliierten stehend am 4. September 1939 seine Beziehungen zum Deutschen Reich ab. Es folgten jahrelange innenpolitische Auseinandersetzungen. Lange Zeit war unklar, wohin das Land am Nil tendierte. Die Kriegserklärung kam aus diesem Grund erst am 26. Februar 1945; verkündet durch Premier Ali Mahir, der noch am selben Tag von einem prodeutschen Täter ermordet wurde.

Die Aufnahme deutsch-ägyptischer Beziehungen in der Nachkriegszeit stand ganz im Schatten des Nahostkonfliktes und der Deutschlandfrage. Hierbei beschritten beide deutsche Staaten völlig unterschiedliche Wege. Während die Bundesrepublik mit dem Luxemburger Abkommen den langen Weg der Aussöhnung mit Israel betrat, glaubte Ost-Berlin durch einen betont feindlichen Kurs gegenüber dem jüdischen Staat in der arabischen Welt die erhoffte Anerkennung zu finden. Ägypten unter dem jungen Obristen Abd an-Nasir sollte hierbei eine Schlüsselrolle spielen. Der Versuch des westdeutschen Staates den ostdeutschen zu isolieren, scheiterte. "Ostberlin“, so Schwanitz, "intensivierte seine Beziehungen zu Arabern auf allen Ebenen, speziell in den Bereichen Militär und Geheimdienste.“

Nach der Niederlage Ägyptens im so genannten Juni-Krieg von 1967 berieten Gesandte aus der DDR den niedergeschlagenen Abd an-Nasir. Ägypten wäre nun gar die "erste Verteidigungslinie für das sozialistische Lager“, meinte Abd an-Nasir. Doch volle diplomatische Beziehungen wollte Ägyptens Präsident dennoch nicht wagen; zu groß waren die Ängste vor den zu erwartenden Schritten der wirtschaftlichen Großmacht Bundesrepublik Deutschland. Erst mit der Aufweichung der Hallstein-Doktrin war der Weg für ost- und westdeutsch-ägyptische Beziehungen frei. Eine, wie Schwanitz treffend schreibt, "normalisierte Rivalität“ nahm ihren Lauf. Diese Phase dauerte bis zur Wiedervereinigung Deutschlands. Heute, so der Autor, gebe es um Ägypten keine kolonialen Rivalitäten der Welt- und Großmächte mehr. Ägypten könne mehr und mehr zu einem Partner werden, denn: "angesichts der globalen Migration und des Wachsens muslimischer Zentren in den Demokratien wird auch die Islampolitik mehr zu einem Moment der jeweiligen Innenpolitik.“

Schwanitz’ Betrachtungen unter der Überschrift "Staatsfalke, Reichsadler, und Ährenkranz“ zeigen prägnant zusammengefasst die ganze Komplexität, ja die Verworrenheit deutsch-arabischer Beziehungen im 20. Jahrhundert am Beispiel des kleinen, aber eminent wichtigen Scheichtum Kuwaits auf: Den Versuchen des Kaiserreichs, Einfluss in der Region zu gewinnen und gleichzeitig die Kolonialmacht Großbritannien zu verdrängen; folgte der beginnende Kampf ums Öl in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts; Hitlers unheilsame Allianz mit dem Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husaini; das Palästinenserproblem; die deutsche Frage; sowie die schwierigen deutsch-deutsch-israelischen Beziehungen der Nachkriegszeit.

Mit Bedacht wählt Schwanitz hierbei als Beispiel nicht einen der großen arabischen Staaten wie Ägypten oder den Irak, sondern das bislang in der wissenschaftlichen Literatur eher weniger behandelte Kuwait.
Dabei richtet Schwanitz den weiten, aber stets präzisen Blick von Kuwait in die Hauptstadt Wilhelms II., Adolf Hitlers und schließlich auf den Ostteil der geteilten Stadt Berlin, dem Machtzentrum Erich Honeckers, der im Jahr 1982, als die DDR bereits mit massiven wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte und deshalb auf gute Geschäfte hoffend, das Ölscheichtum besuchte. Am Ende dieses Beitrages steht die Berliner Republik, Kuwait und die Herausforderung des islamistischen Terrorismus: "Nach den Turbulenzen haben die deutsch-kuwaitischen Beziehungen in dem Maße Perspektive, wie sich beide nach demokratischen Normen und Zielen in Mitteleuropa und Mittelost richten.“

Von der Makro in die Mikroebene, so kann der Beitrag von Klaus Polkehn charakterisiert werden. Er liefert neue Erkenntnisse zur schillernden Gestalt des 1926 in Wiesbaden geborenen deutschen Winfried Müller, der unter dem Pseudonym Si Mustapha zu einer Ikone des algerischen Unabhängigkeitskrieges in den 1950er und 60er Jahren wurde. Gleichermaßen enttäuscht vom neuen Deutschland in Ost und West schließt sich Müller der algerischen Befreiungsfront an. Er macht sich zur Aufgabe deutsche auf französischer Seite kämpfende Fremdenlegionäre zur Aufgabe bzw. zur Desertation und dann zur Rückkehr in die deutsche Heimat zu bewegen. 3726, darunter vor allem deutsche Legionäre habe Müller zur Aufgabe bewegt; trotz der ständigen Gefahr seitens französischer Dienste. Müller, der "Alemani“ in Algier bleibt nach der Unabhängigkeit des algerischen Staates in Nordafrika. Sein Grab liegt im Tassili-Nationalpark in der Sahara.

Angelika Timm setzt sich in ihrem Beitrag mit dem Faktor USA in der Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen im Kalten Krieg auseinander. Mit diesem Thema hat sich die ostdeutsche Historikerin, die in Israel unterrichtet, bereits in den letzten Jahren immer wieder direkt oder indirekt beschäftigt. In dem vorliegenden Artikel, der eher als zusammenfassende Darstellung der Arbeit von Angelika Timm zu verstehen ist, sind nur wenig neue Anregungen und Informationen erhalten. Störend ist zudem, dass sich Angelika Timm auch 17 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer nicht von der Abkürzung "BRD“ für die Bundesrepublik Deutschland gelöst hat.

Auch der Artikel von Sabine Hofmann, der mit vielen interessanten Zahlen die Wirtschaftsbeziehungen Israels mit den beiden deutschen Staaten analysiert, orientiert sich leider ebenfalls noch zu sehr an der alten, eigentlich längst überholten DDR-Semantik. Aussagen wie: "Der Bau der Berliner Mauer 1961 gilt als realpolitische Zäsur in der Abgrenzung zwischen beiden deutschen Staaten“, sind im Jahr 2007 nur mehr schwerlich nachzuvollziehen. Die Feststellung, den "einstigen ostdeutschen Staat überwiegend als einseitig pro-arabisch und pro-palästinensisch, aber anti-israelisch“ zu bewerten, hält Sabine Hoffmann für "zu pauschal und zu undifferenziert“. Hierbei bezieht sich die Autorin auf einen westdeutschen Artikel aus dem Jahr 1977 (!) und die im reinsten SED-Deutsch verfasste Rechtfertigungsschrift des ehemaligen stellvertretenden DDR-Außenministers Heinz-Dieter Winter.

Auch in dem gelungenen, mit vielen interessanten Dokumenten aufwartenden Beitrag von Uwe Pfullmann zu den Anfängen der zweifachen deutschen Beziehungen zum Nordjemen finden sich bedauerlicherweise Ausdrücke und Einschätzungen, die eher befremdlich klingen. Dazu zählt der sogar zweimal in dem Aufsatz vorkommende Satz: "Die arabischen Politiker sahen in diesen Leistungen an Israel [gemeint ist die bundesdeutsche Wiedergutmachung] für die im Holocaust ermordeten Juden eine enorme Stärkung des Staates Israel, obgleich dieser arabische Territorien besetzt hielt.“ Nur welche "Territorien“ Pfullmann damit meint, wird in dem Beitrag nicht erläutert.

Am Ende des Heftes steht der überaus gelungene Beitrag von Klaus Jaschinski, der sich kenntnis- und faktenreich mit dem deutsch-amerikanisch-iranischen Verwirrspiel auf dem Weg in den Kalten Krieg beschäftigt.

Trotz der oben genannten Kritikpunkte handelt es sich bei dem vorliegenden Themenheft um eine gelungene Auseinandersetzung mit einem in der Literatur wenig beachteten, aber an Wichtigkeit gewinnenden Kapitel deutsch-deutscher Geschichte.

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01.02.2008
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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