D. Trepsdorf: Afrikanisches Alter Ego und europäischer Egoismus

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Title
Afrikanisches Alter Ego und europäischer Egoismus. Eine komparative Studie zur Selbst- und Fremdenperzeption im Wilhelminischen Deutschland und Spätviktorianischen Großbritannien (1884-1914)


Author(s)
Trepsdorf, Daniel K. W.
Extent
493 S.
Price
€ 128,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Felix Brahm, Humboldt-Universität zu Berlin, Seminar für Afrikawissenschaften

Daniel Trepsdorf hat ein ambitioniertes Buch vorgelegt, in dem er sich zur Aufgabe macht, am Beispiel des Stereotyps des „wilden schwarzen Anderen“ und hiermit verknüpfter Selbst- und Fremdenwahrnehmungen kultur- und sozialgeschichtliche Ursachen, Ausprägung und schließlich Auswirkungen – letzteres am Beispiel des südlichen Afrikas – von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Wilhelminischen Deutschland und Spätviktorianischen Großbritannien zu untersuchen. Die umfangreiche Arbeit wurde 2006 von der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Dissertation angenommen.

Vielleicht mag man sich fragen, ob ein solcher Vergleich vor dem Hintergrund der langen Geschichte kolonialer Herrschaft Großbritanniens und der verhältnismäßig kurzen Phase realer überseeischer Kolonialpolitik Deutschlands ertragreich ist. Doch nicht nur die Auswirkungen der deutschen Kolonialpolitik waren trotz ihrer kurzen Dauer gravierend. Vor allem jüngere Forschungsarbeiten haben deutlich gemacht, dass die (Rück-)Wirkungen des Kolonialismus und der Kolonialpolitik auch auf Deutschland – bereits vom 18. bis weit in das 20. Jahrhundert hinein – erheblich waren.1 Vor diesem Hintergrund ist es durchaus fruchtbar, einen direkten Vergleich zwischen beiden Kolonialmächten, wie Trepsdorf sich ihn hier vornimmt, zu ziehen. Und hierin liegt auch der wesentliche Neuheitswert der vorliegenden Arbeit.

Trepsdorf gliedert seine Studie in drei Teile, wobei der erste Teil einen soliden Überblick über die politik- und diplomatiegeschichtlichen Hintergründe der britischen und deutschen Kolonialexpansion in seinem Untersuchungszeitraum liefert und den Zusammenhang zwischen Nationalismus und Kolonialismus in diesem Zeitfenster herausstellt. Hervorgehoben sei zu diesem einführenden Kapitel, dass die kritischen Debatten zur Kolonialpolitik im Reichstag hier sehr gut zusammenfassend dargelegt werden.

Im zweiten Teil untersucht Trepsdorf entsprechend seiner Ausgangsfrage das Stereotyp des „wilden schwarzen Anderen“ in den Gesellschaften im Wilhelminischen Deutschland und im Spätviktorianischen Großbritannien, wofür er drei Zugriffsebenen auswählt, nämlich pro-koloniale Verbände und Vereine, Schul- und Lehrbücher sowie das Reklame- und Unterhaltungswesen. Beim Vergleich der pro-kolonialen Gruppierungen (Navy League, National Service League und Tariff Reform League auf der einen, Deutsche Kolonialgesellschaft, Alldeutscher Verband und Deutscher Flottenverein auf der anderen Seite) macht Trepsdorf deutlich, dass sie sich hinsichtlich ihres „Rechtsextremismus“ und ihrer Propagierung sozialdarwinistischer und rassistischer Ideen in England und im Deutschen Reich kaum voneinander unterschieden.

Im zweiten Unterkapitel identifiziert Trepsdorf in den Schul- und Lehrbüchern sowohl Großbritanniens als auch des Kaiserreichs eine starke Kolonialbegeisterung. In diesem Kapitel tritt die Funktion der zivilisatorischen Selbstvergewisserung und -verortung gegenüber dem „wilden Anderen“ besonders deutlich zu Tage. Ein interessanter Aspekt ist hier aber auch, dass sich in Deutschland Kultusministerien und Schulbuchverlage durchaus resistent gegenüber pro-kolonialen pressure groups zeigten, die energisch eine stärkere Verankerung kolonialer Themen im Schulunterricht forderten. Auf der dritten Zugriffsebene nimmt Trepsdorf methodisch sauber und mit gelungenen Ausflügen in die Kulturgeschichte Stereotype in Werbebildern und Unterhaltungsveranstaltungen unter die Lupe. Für Großbritannien stellt er mit einem Fokus auf Hygieneartikel das Stereotyp des „schmutzigen Schwarzen“ gegenüber dem „sauberen Weißen“ heraus. Interessant sind hier auch Belege dafür, wie schnell das Bild des „schmutzigen Schwarzen“ aber auch ausgetauscht werden konnte. Gegenüber den Werbebildern in Deutschland wird für England durchaus eine Varianz der Deutungsvorlagen sichtbar und insgesamt sieht Trepsdorf hier – vermutlich durch die stärkere Präsenz von Farbigen in der britischen Gesellschaft – einen „befangene[n] Umgang mit dem stark ressentimentdominierten Image des Schwarzafrikaners in Werbung und Öffentlichkeit“ (S. 238).

Der dritte Teil, in dem Trepsdorf koloniale Herrschaftspraktiken in Südafrika und Südwestafrika untersucht, bildet eigentlich eine Untersuchung für sich, schließt aber den Kreis, den Trepsdorf zieht, indem Konsequenzen der in Europa vorgeprägten Stereotype vor Ort aufgezeigt werden sollen. Doch welchen Einfluss hatten die in der Metropole ausgeprägten Stereotype auf die vor Ort entwickelte Herrschaftspraxis tatsächlich? Die Antwort hierauf bleibt Trepsdorf letztlich schuldig, denn seine Darstellung zeigt zwar die verheerenden Auswirkungen der Kolonialherrschaft für die einheimische Bevölkerung, von perfider „Rassentrennung“ bis hin zum Genozid in Deutsch-Südwestafrika und verweist auch auf die Wahrnehmungsebene kolonialer Akteure, doch es bleibt unscharf, inwieweit hierbei in Europa entwickelte Stereotype oder, zumindest auf die Herrschaftspraxis bezogen, vor Ort veränderte oder entwickelte Wahrnehmungen letztlich eine Rolle spielten. Das in Kapitel III B angeführte Beispiel der Wahrnehmungen deutscher Soldaten im Krieg gegen die Herero und Nama zeigt, wie unterschiedlich die Reaktionen auf einen wie auch immer gearteten Bruch mit vorgefertigten Bildern vor Ort sein konnten. Stärker zu diskutieren wäre in diesem Kapitel auch gewesen, inwiefern hier Spezifika der Siedlungskolonien zu Tage treten. In anderen Räumen und Situationen, so hat beispielsweise Michael Pesek für Forschungsreisende im 19. Jahrhundert in Ostafrika aufgezeigt, mussten zwar nicht zwangsläufig Vorstellungswelten, aber doch eine entsprechende Praxis vor Ort verändert werden, was geradezu überlebenswichtig sein konnte.2

Im Fazit kommt Trepsdorf zu einer durchaus differenzierten Analyse und tritt prononciert und plausibel der deutschen Sonderwegsthese entgegen, worin sich wiederum die große Stärke dieses Buches, nämlich der vergleichende Ansatz, zeigt. Die differenzierte Ergebnisanalyse, die Trepsdorf hier entwirft, deckt sich, so muss man leider feststellen, jedoch nicht mit allen Teilen der Arbeit. Es hat den Anschein, dass das berechtigte Bestreben, den Leserinnen und Lesern „ein Aufbegehren der Empörung“ (S. 247) zu entlocken, bisweilen zu Lasten einer Differenzierung, Einordnung und Diskussion konkurrierender Entwürfe von Alterität im Untersuchungszeitraum zu dem eines biologistischen Rassismus und mit diesem nicht zwangsläufig verknüpften Ansätzen geht (wie etwa „Zivilisierungsmission“, verschiedene Kulturtheorien, bis hin zu einer romantisierenden Exotik oder einer „Verliebtheit in die Region“). Differenzierung muss nicht und darf auch nicht zur Relativierung führen, ist aber für ein komplexes Verständnis, auch anderer zeitgenössischer Potentiale, unerlässlich und widerspricht nicht einem geschichtsdidaktischem Ansatz, den der Autor durchaus verfolgt.

Dies steht im Zusammenhang mit einem anderen Problem, nämlich dass sich der Autor der Rassismusforschung quasi vollkommen entzieht. Eine Auseinandersetzung mit der gerade im angelsächsischen Raum aber auch hierzulande breiten Forschungsrichtung hätte erfolgen sollen. Stutzig macht die ungenügende Distanzierung und eigene Verwendung (ohne Anführungszeichen) von abwertenden und verfremdenden Quellenbegriffen wie „Eingeborener“, „Stamm“, „Häuptling“, „archaisch“ oder „autochton“ im Zusammenhang mit der Beschreibung und Charakterisierung afrikanischen Gesellschaften, die sich leider durch das gesamte Buch zieht. Nach dieser Kritik soll aber noch einmal auf die Vorzüge der Arbeit aufmerksam gemacht werden. Die Arbeit besticht durch Quellenreichtum und den breit gefächerten, arbeitsintensiven und vergleichenden Zugriff des Verfassers. Positiv ist auch der Mut Trepsdorfs hervorzuheben, mit sprachlichen Konventionen wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu brechen und literarischem Formulieren und Wortneuschöpfungen Raum zu geben. Leider hat die sehr ansprechende Gestaltung des Buches mit zahlreichen Farbabbildungen offenbar zu dem verhältnismäßig hohen Preis geführt.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Arbeiten – um hier nur einige Autoren zu nennen – von Susanne M. Zantop, Hans-Jürgen Lüsebrink, Pascal Grosse oder Birthe Kundrus. Siehe auch den Beitrag von: Eckert, Andreas; Wirz, Albert, Wir nicht, die Anderen auch. Deutschland und der Kolonialismus, in: Conrad, Sebastian; Randeria, Shalini (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2002, S. 373-393.
2 Vgl. Pesek, Michael, Die Kunst des Reisens. Die Begegnung von europäischen Forschungsreisenden und Ostafrikanern in den Kontaktzonen des 19. Jahrhunderts, in: Speitkamp, Winfrid (Hrsg.), Kommunikationsräume – Erinnerungsräume. Beiträge zur transkulturellen Begegnung in Afrika, München 2005, S. 65-99.

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10.01.2008
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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