Buchpreis: Essay Kategorie Publikumspreis

Von
Rüdiger Hohls

Essay von Rüdiger Hohls, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Preisträger des Publikumspreises wurden von denjenigen Abonnentinnen und Abonnenten von H-Soz-u-Kult, die sich an der Bewertung beteiligten, aus der Gesamtliste der 428 vorgeschlagenen Titel bestimmt. Dabei haben sich die Leserinnen und Leser in diesem Jahr für eine sowohl in thematischer und epochaler als auch typologischer Hinsicht überraschende Auswahl lesenswerter Monographien entschieden. Bei zweien der Preisträger handelt es sich um für den Druck überarbeitete Dissertationen von Nachwuchswissenschaftlern (Platz 1: Philipp Müller; Platz 5: Jens Schöne), bei den drei Monographien auf den Plätzen zwei bis vier um theoretische Einführungen und Detailstudien bekannter Historiker, die auch von der Fachjury in einzelnen Kategorien ausgewählt wurden. So findet man die im vergangenen Jahr breit in der Presse und den elektronischen Medien diskutierte Studie von Götz Aly (Hitlers Volksstaat) auch unter den Preisträgern in der Kategorie „Neueste Geschichte“ (Platz 2). Die 2005 erschienene deutsche Übersetzung von „What is Cultural History?“ des in Cambridge lehrenden britischen Altmeisters Peter Burke aus dem Jahre 2004 punktete auch bei den Juroren in der „Offenen Kategorie“. Die Studie des Dresdener Frühneuzeitlers Gert Schwerhoff mit dem Titel „Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200-1650“ landete sogar auf Rang 1 in der Kategorie „Geschichte der Frühen Neuzeit“ und verpasste nur knapp einen der vorderen Plätze in der Kategorie „Mittelalter“. Epochal behandeln die ausgewählten Titel also den lang gestreckten Zeitraum vom Hochmittelalter bis in die jüngere Zeitgeschichte.

Hier sollen jedoch nur die auf Platz eins und fünf platzierten Bücher von Philipp Müller und Jens Schöne kurz vorgestellt werden, da auf eine nochmalige Würdigung der anderen Publikationen verzichtet werden kann. Starten möchte ich mit dem Siegertitel:

In seiner 2004 abgeschlossenen Studie „Auf der Suche nach dem Täter“ untersucht Philipp Müller „die öffentliche Dramatisierung von Verbrechen im Berlin des Kaiserreichs“, wie es im Untertitel des Buchs heißt. Es geht ihm um das sich wandelnde Verhältnis von Polizei, Presse und Öffentlichkeit bei der Behandlung und Wahrnehmung von Verbrechen im wilhelminischen Berlin. Die zunehmende Konkurrenz zwischen den Organen der hauptstädtischen Massenpresse im späten Kaiserreich ließ die Berichterstattung über Verbrechen zu einem interessanten Genre der Tagespresse werden, worüber sich das sensationshungrige Publikum begierig in die Suche nach Tätern einspannen ließ. Der Autor hat dazu vor allem die viel gelesenen Berliner Tageszeitungen und die Akten des Berliner Polizeipräsidiums und des preußischen Innen- und Justizministerium ausgewertet und schildert, wie die Berliner die Berichterstattung der Massenpresse aufnahmen und wie sie sich bei der Verfolgung – auch vermeintlicher – Täter ins Zeug legten, indem sie der Polizei Beobachtungen mitteilten, mutmaßliche Verbrecher anzeigten oder verfolgen halfen. Philipp Müller thematisiert also weniger die Verbrechen oder Kriminalität selbst, sondern fokussiert seine Untersuchung auf die öffentlichen Wechselwirkungen zwischen den Akteuren und deren Handlungen. Unter Berücksichtigung mediengeschichtlicher Fragestellungen und Aspekte untersucht Müller die Interessen und das Agieren der Polizei, der Presse und Journalisten, der Leser und auch der Täter.

Der Autor gliedert seine Untersuchung in zwei Teile: Im ersten Abschnitt schildert Müller in Anlehnung an Peter Fritzsches Studie „Reading Berlin 1900“ den Aufstieg der Massenpresse, die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit sowie Aktionen der Zeitungen und Reaktionen der Leser. Während Lokalnachrichten und die urbane Lebenswelt ins Zentrum der Presseberichterstattung rückten, begann parallel dazu die Polizei die auflagenstarken Lokalzeitungen in ihre Fahndungen einzuspannen. Im zweiten Abschnitt illustriert Müller anhand zweier Fallstudien aus dem Jahr 1906, wie die Verbrechensinszenierung konkret erfolgte, welche Interessen im Spiel waren und wie die Akteure Bedeutungen aushandelten. An den Beispielen wird zudem deutlich, wie sich durch die Medialisierung der Verbrechen in der Tagespresse das polizeiliche Informations- und Verfolgungsmonopol partiell auflöste.

Leider äußert sich Philipp Müller nicht zur Reichweite seiner Ergebnisse, denn als Leser hätte ich gerne gewusst, wie sich der mediale Umgang mit Verbrechen und Kriminalität in anderen europäischen Großstädten dieser Epoche darstellte, ob Berlin ein Sonderfall war oder als repräsentativ gelten kann. Trotz des zuweilen modischen Wissenschaftsjargons handelt es sich um eine lesenswerte Mikrostudie, der viele Leser zu wünschen sind.

Damit komme ich zur Dissertation von Jens Schöne. Der blumige Haupttitel „Frühling auf dem Lande?“ erschließt sich vermutlich nur den Spezialisten für DDR-Geschichte von selbst, allen anderen wird er erst in Verbindung mit dem Untertitel „Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft“ ansatzweise verständlich. Eine ZK-Tagung der SED beschloss im Oktober 1957 die Vollkollektivierung der Landwirtschaft, womit sich die DDR nach dem Diktum Walter Ulbrichts spätestens ab 1960 auf dem Weg zum „sozialistischen Frühling“ befinden würde.

Gleich zu Beginn benennt Jens Schöne die relevanten Eckdaten der Entwicklung der DDR-Landwirtschaft in den 1950er Jahren: „Der Wandel war umfassend. Von den mehr als 850.000 bäuerlichen Privatbetrieben, die die Agrarwirtschaft der DDR zu Beginn der Fünfzigerjahre prägten, existierten am Ende des Jahres 1960 nur noch weniger als 20.000. Die übrigen waren im Rahmen einer umfassenden Kollektivierung in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) eingegliedert worden […].“ (S. 9) Von der Großflächenlandwirtschaft erhoffte sich die SED-Parteiführung systemstabilisierende Produktionszuwächse, tatsächlich jedoch trug sie mehr als einmal zu den schweren politischen Systemkrisen bei. Denn neben den vielen freiwilligen Beitritten zu den LPG standen umfangreiche Zwangsmaßnahmen, die zu teils heftigen Abwehrreaktionen in den Dörfern führten und zur Destabilisierung durch ansteigende Fluchtziffern aus dem ländlichen Raum beitrugen. Schönes Augenmerk liegt denn auch auf den zwei Kollektivierungsschüben 1952/53 und 1960, die er im Zusammenhang mit den Herrschaftskrisen der DDR zwischen 1953 und 1961 thematisiert. Entsprechend ist das Buch gegliedert: Im ersten Kapitel schildert Schöne die Rahmenbedingungen und die Ausgangslage bis 1952; im zweiten Kapitel untersucht er den ersten Kollektivierungsschub 1952 und die Eskalation der Krise im Jahr 1953. Der dritte Abschnitt ist mit „Der zweite Kollektivierungsschub. Erreichte Ziele“ überschrieben; thematisiert wird also die agrarwirtschaftliche und -politische Entwicklung zwischen 1953 und 1961. Im vierten Kapitel vergleicht Schöne die beiden Kollektivierungsschübe und deren Zusammenhang mit den Systemkrisen der DDR diachron.

Zu Beginn des zweiten und dritten Kapitels verdichtet Jens Schöne die Darstellung jeweils durch die quellengesättigte Untersuchung lokaler Präzedenzfälle und konfrontiert diese mit politischen Entwicklungen und den Entscheidungsfindungen auf höchster politischer Ebene. Bleibt festzuhalten, dass Jens Schöne mit dieser Studie eine konzise, analytisch und methodisch präzise, den Forschungsstand reflektierende, sprachlich beeindruckende und sicher urteilende Untersuchung vorgelegt hat.

Abschließend noch ein paar nachdenkliche Anmerkungen zum Publikumspreis selbst. Der H-Soz-u-Kult Wettbewerb „Das Historische Buch“ unterscheidet neun epochale, regionale und thematische Kategorien und verzichtet auf die Auszeichnung des einen, publikumswirksamen Siegertitels. In Teilen soll der vor vier Jahren erstmals ausgelobte Publikumspreis der H-Soz-u-Kult-Subskribenten diese Lücke schließen. Zudem soll über den Publikumspreis die enorme fachliche Kompetenz der inzwischen mehr als 13.000 Subskribenten bei der Suche nach den innovativen, richtungweisenden und lesenswerten Neuerscheinungen in den Wettbewerb eingebunden werden; so stellten wir es uns zumindest als Veranstalter des Wettbewerbs vor. Die praktischen Erfahrungen der letzten Jahre lassen jedoch Zweifel an diesem Konzept wachsen, denn die Partizipation der Leserinnen und Leser von H-Soz-u-Kult am Wettbewerb bleibt doch stark hinter unseren Erwartungen zurück. So beteiligten sich in diesem Jahr lediglich 51 Subskribenten an der Nominierung auszeichnungswürdiger Titel und an der abschließenden Bewertung nahmen nur 181 Kolleginnen und Kollegen teil, was einer Beteiligungsquote von nur 1,4 Prozent entspricht. Zudem verteilen sich die Voten der Subskribenten auf knapp 300 der vorgeschlagenen Bücher; allerdings entfielen von den insgesamt vergebenen Voten (728) und Punkten (2.334) mehr als 16 Prozent auf die zehn erstplatzierten Titel. Dennoch kann nicht angenommen werden, dass das Ergebnis in dieser Form repräsentativ ist für die Meinung unserer Leserinnen und Leser. Über die Ursachen der dürftigen Beteiligung am Publikumspreis können wir nur spekulieren: Stimmen die Voraussetzungen nicht oder sind die konzeptionellen Überlegungen falsch, weil nur wenige die Neuerscheinungen in der dargebotenen thematischen und epochalen Breite im Blick haben? Womöglich erweist sich das Abstimmungsverfahren über Webformulare mit vorgeschalteter Authentifizierung als zu kompliziert? Liegt es am timing des Wettbewerbs oder an einer unzureichenden Öffentlichkeitsarbeit? Bitte schreiben Sie uns, wie Sie die Zukunft des Publikumspreises einschätzen und wo Sie Verbesserungsmöglichkeiten im Verfahren oder in der Präsentation sehen.

Von den Subskribenten des Internetforums H-Soz-u-Kult wurden im Rahmen des Publikumspreises folgende Titel auf die vorderen Rangplätze gewählt:

1. Müller, Philipp, Auf der Suche nach dem Täter. Die öffentliche Dramatisierung von Verbrechen im Berlin des Kaiserreichs, Frankfurt am Main 2005. Rezension von Nils Freytag, in: H-Soz-u-Kult, 08.03.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7185>.
2. Aly, Götz, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2005. Rezension von Wolfram Meyer zu Uptrup, in: H-Soz-u-Kult, 26.05.2005 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=6225>.
3. Burke, Peter, Was ist Kulturgeschichte?, Frankfurt am Main 2005. Rezension von Wolfgang E. J. Weber, in: H-Soz-u-Kult, 19.04.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7210>.
4. Schwerhoff, Gerd, Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200-1650, Konstanz 2005. Rezension von Christian Jaser, in: H-Soz-u-Kult, 04.07.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7346>.
5. Schöne, Jens, Frühling auf dem Lande? Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft, Berlin 2005.

Die Listen sowie detaillierte Angaben zur Jury und zum Verfahren können Sie auf dem Webserver von H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/buchpreis> nachlesen.

Zitation
Buchpreis: Essay Kategorie Publikumspreis, In: H-Soz-Kult, 17.07.2006, <www.hsozkult.de/text/id/texte-782>.
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