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Fachforum zur Geschichte des kulturellen Transfers und der transnationalen Verflechtungen in Europa und der Welt

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Das Historische Buch 2003


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Prof. Dr. Michael Wildt

Hamburger Institut für Sozialforschung

Lebenslauf

1954 in Essen geboren, aufgewachsen in Bad Pyrmont, Abitur 1972, danach Wehrdienst

Buchhändlerlehre im Rowohlt Verlag, und anschließend dort Tätigkeit als Verlagsangestellter

Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Kulturwissenschaften und Theologie an der Universität Hamburg, Studienabschluß: Magister Artium 1985

Anschließend freier Publizist, Dozent und wiss. Mitarbeiter an dem von der VW-Stiftung geförderten Forschungsprojekt "Modernisierung und Modernität in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland"

1991 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Hamburg mit einer Dissertation zur Konsumgeschichte: Am Beginn der 'Konsumgesellschaft'. Mangelerfahrung, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnung in Westdeutschland in den fünfziger Jahren, Hamburg 1994

1992 bis 1997 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg (heute: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg)

Und Lehrtätigkeit an der Universität Hannover

Seit 1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich 'Theorie und Geschichte der Gewalt" des Hamburger Instituts für Sozialforschung

2001 Habilitation an der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Universität Hannover (Habilitationsschrift: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg: Hamburger Edition, 2002) und seit 2002 dort Privatdozent für Neuere Geschichte

2001/2002 Research Fellow am International Institute for Holocaust Research of Yad Vashem, Jerusalem

Zurückliegende Forschungsschwerpunkte: Konsumgeschichte der Bundesrepublik Deutschland; sozialdemokratisches Exil 1933-1945; Theorie und Praxis der Geschichtswerkstätten

Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Geschichte des 20. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Nationalsozialismus, Antisemitismus, Ordnungskonzepte und Weltanschauungen

Wichtige Monographien und Herausgeberschaften

Wichtige Monographien oder Herausgeberschaften:

Am Beginn der 'Konsumgesellschaft'. Mangelerfahrung, Lebenshaltung, Wohlstandshoffnung in Westdeutschland in den fünfziger Jahren, Hamburg 1994.

Die Judenpolitik des SD 1935 - 1938. Eine Dokumentation (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 71), München 1995.

Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42. Im Auftrag der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg bearbeitet, kommentiert und eingeleitet von Peter Witte, Michael Wildt, Martina Voigt, Dieter Pohl, Peter Klein, Christian Gerlach, Christoph Dieckmann und Andrej Angrick, Hamburg 1999.

Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002.

als Hrsg.: Nachrichtendienst, politische Elite, Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, Hamburg 2003.

Wichtige Mitgliedschaften und Auszeichnungen:

Mitherausgeber von WerkstattGeschichte und der Reihe "Historische Studien" im Campus Verlag; Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Zeitschrift "Zeithistorische Forschungen"

Das Buch "Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002" wurde von H-Soz-u-Kult als "Das Historische Buch 2003" in der Kategorie "Zeitgeschichte" und in der Kategorie "Publikumspreis" mit dem 1. Platz ausgezeichnet

Fragen zur historischen Forschungslandschaft und zu aktuellen Debatten

2. a) Wie kamen Sie zur Geschichtswissenschaft? Was hat Sie motiviert, Geschichte zu Ihrem Beruf zu machen?

Ich wollte nicht mehr nur Bücher verkaufen, sondern selbst forschen und Bücher schreiben. Die Geschichtswissenschaft lag am nächsten, weil in ihr die Themen- und Perspektivwahl mir damals am freiesten unter allen Humanwissenschaften erschien.

2. b) Die Geschichtswissenschaften haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zahlreiche Erweiterungen und Neuorientierungen der Frageansätze und Forschungsperspektiven erfahren. Welche halten Sie für die interessanteste und folgenreichste?

Die folgenreichste Veränderung der Historiographie ist aus meiner heutigen Sicht die Zeitenwende 1989/90, die zum einen die historischen Subjekte als Akteure der Geschichte wieder in den Mittelpunkt der Analyse gestellt hat und zum anderen den Horizont nicht bloss auf Europa, sondern auf Weltgeschichte erweitert hat.

2. c) Sehen Sie Forschungsfelder, denen man künftig mehr Aufmerksamkeit widmen sollte?

Ich denke, daß die Bedeutung der Bilder, die Visualisierung von Wissen von der Geschichtswissenschaft jetzt ebenso einbezogen wird wie die Informationsrevolution durch das Web 2.0 und wir zu einem Nachdenken über die Medien, mit denen wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommunizieren, und über die Generierung von Wissen aufgefordert sind.

2. d) In den Medien werden seit längerem unterschiedliche Zukunftsdiskurse geführt, die Lösungen und Wege zur Bewältigung der gegenwärtigen Krisen- und Umbruchserfahrungen (Umbau des Sozial- und Leistungsstaates, Krise der europäischen Verfassungsentwicklung, Terrorismus und Terrorismusbekämpfung, Auflösung überkommener Lebensformen und Werte u.a.m.) aufzeigen sollen.Historiker sind an diesen Debatten kaum beteiligt. Lassen sich aus historischen Krisen- und Umbruchsphasen keine Lehren ziehen, Erfahrungen und Einsichten vermitteln? Müssen wir Historiker die öffentliche Diskussion Juristen und Verwaltungsexperten, Wirtschaftswissenschaftlern und Militärs überlassen?

'Historia Magistra Vitae' gilt nicht mehr. Aber Geschichte ist ein ungemein spannender Zeit-Raum, der – je nach den Fragen, die man stellt – ungeahnte, unerwartete, ungewohnte Konturen erhält. Geschichte als Laboratorium wäre ohne Zweifel für öffentliche Diskussion sehr nützlich. Zudem sind Historiker Experten für die Relativierung von Kontinuitäts- und Diskontinuitätsannahmen.

2. e) Elite oder Eliten? Das Vertrauen in die Rolle und Prämierungsmodelle der Eliten moderner Gesellschaften scheint zu schwinden. Ist die Aufspaltung unsere Gesellschaft in funktional spezialisierte, oft aber unverbundene Hochleistungsbereiche (Wirtschaft, Politik-Verwaltung, Technik-Medizin-Wissenschaft) unvermeidlich? Oder bieten die gegenwärtigen Umbruchsszenarien die Chance zu einer Neudefinition auch dessen, was Bildung sein soll und wie Elitenrekrutierung und Bildung zusammenkommen?

Ich bin für die optimale Förderung eines jeden/einer jeden einzelnen und aller. Das schließt notwendigerweise Differenzierung ein, darf aber nicht die Prädisposition weniger als Elite aufgrund bildungsferner Faktoren bedeuten.

2. f) Deutschland begibt sich auf die Suche nach Spitzen-Universitäten. Verträgt sich Geschichtswissenschaft über die bloße fachliche Professionalität hinaus überhaupt mit dem Elitegedanken?

Ich fände es gut, wenn es in der Diskussion um die Zukunft von Bildung mehr Bereitschaft zur Selbstreflektion auf allen Seiten gäbe. Daß erst die Einbrüche in den öffentlichen Haushalten Universitäten zu ersten Reformansätzen zwingt, spricht nicht gerade für Veränderungsmotivation und Innovationswillen. Und wenn Politiker glauben, allein mit dem Zauberwort Elite die Probleme gelöst zu haben, sind sie blind gegenüber der Grundbedingung für Elitenbildung: die reale Aussicht, mit Leistung eine bessere Zukunft für sich gewinnen zu können.

3. Stellen Sie bitte Ihren persönlichen Favoriten unter den historischen Büchern des Jahres 2003 kurz vor und erläutern Sie Ihre Wahl. (15-20 Zeilen.)

Gerd Koenen, Vesper, Ensslin, Baader. Urszenen des deutschen Terrorismus, Köln 2003,

- nicht weil, wie oft in den Rezensionen hervorgehoben, Koenen die Phase völkischer Identifikation Bernward Vespers mit seinem Nazivater beleuchtet und damit den schnellen, scheinbar problemlosen Wechsel vom rechten zum linken Radikalismus aufgezeigt hat, sondern weil in diesem Buch eine ganz andere Generationengeschichte aufscheint als diejenige von der "skeptischen Generation", die sich nüchtern von jedweder weltanschaulichen Leidenschaft abgewandt habe, oder diejenige von der aufklärenden "68er"-Generation, der wir es zu verdanken hätten, daß das Schweigen über den Nationalsozialismus durchbrochen worden sei. In Koenens Buch wird eine andere Kontur von jungen Männern sichtbar, die noch einmal die Schlacht ihrer Väter schlagen, dieses Mal auf der "richtigen" Seite, als Verfolgte des "Fascho-Staates" und mit dem unbedingten Willen, zu siegen, notfalls mit Gewalt und Mord.
Diese Konfrontation mit den Ego-Dokumenten aus der Entstehungszeit der RAF entzieht allen Selbststilisierungen gründlich den Boden und wirft neue, ausgesprochen spannende Fragen zur Geschichte und zum Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland auf.


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