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Fachforum zur Geschichte des kulturellen Transfers und der transnationalen Verflechtungen in Europa und der Welt

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Das Historische Buch 2003


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Dr. Ralf Lusiardi

Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt

Lebenslauf

Geb. 1964 in Wertheim am Main; Abitur 1983 in Wertheim; Grundstudium 1984-1986 in Neuerer und Mittelalterliche Geschichte und Politikwissenschaft in Erlangen; Zivildienst 1986-1988; Hauptstudium 1988/89 in Aix-en-Provence und 1988-1992 in Freiburg i. Br. mit Abschluß M.A.; Promotionsstudium 1992-1996 an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einem NAFÖG-Stipendium des Landes Berlin; Archivreferendariat 1996-1998 in Karlsruhe und Marburg; 1998 Promotion zum Dr. phil. in Mittelalterlicher Geschichte mit einer Arbeit über "Stiftung und städtische Gesellschaft. Religiöse und soziale Aspekte des Stiftungsverhaltens im spätmittelalterlichen Stralsund" (erschienen in: Stiftungsgeschichten, Bd. 2, Berlin 2000); 1998-2001 wiss. Assistent am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte I der Humboldt-Universität zu Berlin; seit 2001 wiss. Archivar am Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg; seit Juli 2002 Leiter des Dezernats 1 (Historische Territorien) ebd.

Zurückliegende und aktuelle Forschungsschwerpunkte: Reformationsgeschichte; Religions- und Kirchengeschichte des Mittelalters; Sozialgeschichte des Mittelalters; Geschichte der Stiftungen; Landesgeschichte Sachsen-Anhalts.

Fragen zur historischen Forschungslandschaft und zu aktuellen Debatten

2. a) Wie kamen Sie zur Geschichtswissenschaft? Was hat Sie motiviert, Geschichte zu Ihrem Beruf zu machen?

In meiner Jugend wurde (neueste und Zeit-)Geschichte zum bevorzugten Medium der Selbstvergewisserung. Geschichte als ,Leitwissenschaft für das Leben‘ – dies wurde freilich mit den Jahren immer schwieriger, das Bedürfnis nach Verfremdung (und damit auch der Drang zu den älteren Epochen) größer; obsolet aber wurde es nie. Daß ich mir schließlich nichts Schöneres vorstellen konnte, als Geschichte auch zu meinem Beruf zu machen – vielleicht ein Mangel an Phantasie.

2. b) Die Geschichtswissenschaften haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zahlreiche Erweiterungen und Neuorientierungen der Frageansätze und Forschungsperspektiven erfahren. Welche halten Sie für die interessanteste und folgenreichste?

In jüngerer Zeit gingen von der “postmodernen” Herausforderung der Geschichtswissenschaft zweifellos vielfältige und wichtige methodologische Impulse aus, und es ist noch nicht abzusehen, welches Gesicht die ,Geschichtswissenschaft nach der Postmoderne‘ haben wird. Mit Sicherheit wird die Geschichte am Ende nicht “tot” sein; wenn sich der Rauch der erbittert geführten Schlachten verzogen hat, werden, so ist zu hoffen, die Geschichtswissenschaften vielmehr einen weithin anerkannten Gewinn an Methoden, Frageansätzen und erkenntnistheoretischer Reflexion verzeichnen können. Auf das ganze zurückliegende Jahrhundert gesehen, scheint mir der sozialhistorische Paradigmenwechsel, der von den Annales-Historikern ausgegangen ist, aber vielleicht noch bedeutsamer für das gesamte Fach zu sein.

2. c) Sehen Sie Forschungsfelder, denen man künftig mehr Aufmerksamkeit widmen sollte?

Wenn man Geschichte als eine ,Leitwissenschaft für das Leben‘ betreiben möchte, dann wird kaum noch bestritten, aber sicherlich immer noch zu wenig beherzigt, daß transkulturell-vergleichende Forschungen mehr Aufmerksamkeit als bislang erhalten sollten.

2. d) In den Medien werden seit längerem unterschiedliche Zukunftsdiskurse geführt, die Lösungen und Wege zur Bewältigung der gegenwärtigen Krisen- und Umbruchserfahrungen (Umbau des Sozial- und Leistungsstaates, Krise der europäischen Verfassungsentwicklung, Terrorismus und Terrorismusbekämpfung, Auflösung überkommener Lebensformen und Werte u.a.m.) aufzeigen sollen.Historiker sind an diesen Debatten kaum beteiligt. Lassen sich aus historischen Krisen- und Umbruchsphasen keine Lehren ziehen, Erfahrungen und Einsichten vermitteln? Müssen wir Historiker die öffentliche Diskussion Juristen und Verwaltungsexperten, Wirtschaftswissenschaftlern und Militärs überlassen?

Rhetorische Fragen bedürfen bekanntlich keiner Antwort. Die interessante Frage ist freilich, warum dies in Deutschland so ist und wie es anders werden könnte. Eine einfache Antwort darauf gibt es wohl nicht – jedenfalls kommt zu manchen wissenschaftshistorischen Gründen in der Gegenwart vielleicht auch das Problem, dass die (Universitäts-)Historiker selbst mit einer Umbruchs- und Krisensituation zu kämpfen haben. In einer solchen Situation das Engagement in den Gegenwarts- und Zukunftsdiskursen als eine Antwort auch auf die eigenen Probleme zu begreifen, dazu bedarf es sicherlich besonderer Energie und Einsicht.

2. e) Elite oder Eliten? Das Vertrauen in die Rolle und Prämierungsmodelle der Eliten moderner Gesellschaften scheint zu schwinden. Ist die Aufspaltung unsere Gesellschaft in funktional spezialisierte, oft aber unverbundene Hochleistungsbereiche (Wirtschaft, Politik-Verwaltung, Technik-Medizin-Wissenschaft) unvermeidlich? Oder bieten die gegenwärtigen Umbruchsszenarien die Chance zu einer Neudefinition auch dessen, was Bildung sein soll und wie Elitenrekrutierung und Bildung zusammenkommen?

Die Ansätze dazu sind ja zweifellos schon vorhanden. Damit die Debatten darüber fruchtbar geführt und gesellschaftlich wirksam werden können, wäre wohl allerdings ein gesellschaftliches Klima vonnöten, das weniger von Zukunftsangst, politischer Kurzatmigkeit und dem ,Diktat der Ökonomie‘ bestimmt ist.

2. f) Deutschland begibt sich auf die Suche nach Spitzen-Universitäten. Verträgt sich Geschichtswissenschaft über die bloße fachliche Professionalität hinaus überhaupt mit dem Elitegedanken?

Von der (auch finanziellen) Dekorierung von „Spitzen-Universitäten“ verspreche ich mir für die Geschichtswissenschaft (wie für viele andere Disziplinen auch) eigentlich nichts. Weiterhin sollte ,Elite‘ da gefördert werden, wo sie in Erscheinung tritt. Damit das Niveau von Forschung und Lehre insgesamt verbessert werden kann, brauchen die Hochschulen vor allem mehr Wettbewerbsanreize und Autonomie – ein nahe liegender Gedanke, nur nicht für Hochschulpolitiker und Ministerialbürokraten.

3. Stellen Sie bitte Ihren persönlichen Favoriten unter den historischen Büchern des Jahres 2003 kurz vor und erläutern Sie Ihre Wahl. (15-20 Zeilen.)

Mein persönlicher Favorit ist die nun in einer ausgezeichneten Übersetzung erschienene Studie „Denken im Mittelalter“ (frz. Orig.: Penser au Moyen Age, 1991) von Alain de Libera (Wilhelm Fink Verlag, München 2003). Hellsichtig, kenntnisreich und mit stilistischer Eleganz wird die geistige Grundlegung Europas durch den Austausch christlicher, jüdischer und arabischer Intellektuellen im 13. Jahrhundert, vor allem aber die besondere Rolle der arabischen Denker und ihrer Vermittlung der antiken Philosophie dargestellt. Was im Westeuropa des 14. Jahrhunderts gelang, nämlich das Modell des Intellektuellen aus der Universität in die Gesellschaft zu tragen, scheint in gewandelter Form auch heute Not zu tun: eine Intellektualisierung der gesellschaftlichen Debatten um die Zukunft Europas, die religiös-kulturelle Differenzen akzeptieren helfen, aber zugleich im Fremden das Eigene erkennen lassen würde. Ein wichtiges Buch über Europas Vergangenheit und Gegenwart.


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