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Fachforum zur Geschichte des kulturellen Transfers und der transnationalen Verflechtungen in Europa und der Welt

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Das Historische Buch 2003


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Dr. Andreas Fahrmeir

Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

Kurzer Lebenslauf mit den wichtigsten akademischen Stationen

Aufgewachsen in Oberursel/Ts., Schulabschluß 1988 an der Kaiserin Friedrich Schule, Bad Homburg

Nach einem Semester Studium der Chemie ab Sommersemester 1989 Studium der Mittleren und Neueren Geschichte, Anglistik und Geschichte der Naturwissenschaften an der JW Goethe Universität, Frankfurt/Main. Visiting student (mit denselben Fächern) 1991/92 an der McGill University, Montréal; M. A. 1994

Promotion 1995-1997 in Geschichte am Sidney Sussex College, Cambridge (Citizens and Aliens: Foreigners and the Law in Britain and the German States, 1789-1870, publiziert New York/Oxford 2000)

1997 bis 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut London

Dezember 2001 Habilitation an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt (Das Stadtbürgertum einer Finanzmetropole: Untersuchungen zur Corporation of the City of London und ihres Court of Aldermen, 1688-1900)

2002 Berater bei McKinsey & Company, Inc.

Zur Zeit Heisenberg-Stipendiat am Historischen Seminar der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

Wichtige Veröffentlichungen:
Mit Sabine Freitag (Hrsg.), Mord und andere Kleinigkeiten: Ungewöhnliche Kriminalfälle aus sechs Jahrhunderten (München 2001) [Festschrift für Peter Wende];
mit Olivier Faron und Patrick Weil (Hrsg.), Migration Control in the North Atlantic World. The Evolution of State Practices in Europe and the United States from the French Revolution to the Inter-War Period (New York/Oxford 2003);
mit Elfie Rembold (Hrsg.), The Representation of British Cities. Transformations of Urban Space. Bodenheim 2003;
"Ehrbare Spekulanten. Stadtverfassung, Wirtschaft und Politik in der City of London, 1688-199. (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, Bd. 55). München 2003;
"Zur "Krise" der Geschichte - Anmerkungen zu einer aktuellen Diskussion", in: HZ 2003 (vermutlich April).

Mitgliedschaften und Auszeichnungen:
Studienstiftung des deutschen Volkes; Howard Research Studentship 1995-1997; Thirlwall Prize und Seeley Medal (Cambridge) 1999 (für "Citizens and Aliens")

Fragen zur historischen Forschungslandschaft und zu aktuellen Debatten

2. a) Wie kamen Sie zur Geschichtswissenschaft? Was hat Sie motiviert, Geschichte zu Ihrem Beruf zu machen?

Durch das Interesse an den Rätseln und Geschichten der Vergangenheit. Für das Geschichtsstudium waren die späten 80er Jahre m. E. eine besonders spannende Zeit. Der Kontrast zwischen dem Unterricht in der Schule, der älteren Literatur, die ich bis dahin gelesen hatte, und der quasi-naturwissenschaftlichen Methodik der Annales-Schule, der historischen Sozialwissenschaft, der "Cambridge School" und den Ergebnissen der "Großforschungsprojekte" zum 19. Jahrhundert war beeindruckend. Zumal in Frankfurt herrschte damals eine besondere Aufbruchstimmung. Es schien auf vielfache Art möglich, mit Mythen aufzuräumen und gängige Erklärungsmuster grundlegend zu revidieren. Das war auch der Grund, warum ich die ‚Wissenschaft' immer weiter anregend fand. Aber Berufe hat man - zumal in den Geisteswissenschaften - in der Regel nur noch auf Zeit.

2. b) Die Geschichtswissenschaften haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zahlreiche Erweiterungen und Neuorientierungen der Frageansätze und Forschungsperspektiven erfahren. Welche halten Sie für die interessanteste und folgenreichste?

Obwohl es langweilig, altmodisch und überholt klingt: Immer noch die historische Sozialwissenschaft, insofern sie auf eine methodisch reflektierte und rationale Überprüfung von historischen Thesen anhand einer ausreichenden Quellengrundlage zielte. Das Potential (wie auch die besondere Schwierigkeit) der Kulturgeschichte liegt eben darin, daß sie auf dieser Grundlage aufbauen kann (indem sie Lücken thematisiert), aber auch aufbauen muß.

2. c) Sehen Sie Forschungsfelder, denen man künftig mehr Aufmerksamkeit widmen sollte?

Eher nicht, weil die historische Forschung – zum Glück – sehr breit aufgestellt und methodisch wie inhaltlich breit orientiert ist. Wichtig ist, diese Vielfalt zu erhalten, und zu verhindern, daß sie durch kurzfristig orientierte Anreize zur mehr „Drittmittelforschung“ in bestimmte Richtungen beschnitten wird.

2. d) In den Medien werden seit längerem unterschiedliche Zukunftsdiskurse geführt, die Lösungen und Wege zur Bewältigung der gegenwärtigen Krisen- und Umbruchserfahrungen (Umbau des Sozial- und Leistungsstaates, Krise der europäischen Verfassungsentwicklung, Terrorismus und Terrorismusbekämpfung, Auflösung überkommener Lebensformen und Werte u.a.m.) aufzeigen sollen.Historiker sind an diesen Debatten kaum beteiligt. Lassen sich aus historischen Krisen- und Umbruchsphasen keine Lehren ziehen, Erfahrungen und Einsichten vermitteln? Müssen wir Historiker die öffentliche Diskussion Juristen und Verwaltungsexperten, Wirtschaftswissenschaftlern und Militärs überlassen?

Historikerinnen und Historiker nehmen doch schon jetzt an Zukunftsdiskursen prominent teil. Bücher, die sich aus aktuellem Interesse der (Vor-)Geschichte gegenwärtiger Diskussionen oder Situationen widmen, sind auch dieses Jahr erschienen: Gabriele Metzlers Buch "Der deutsche Sozialstaat", Peter Benders "Weltmacht Amerika - Das neue Rom", Paul Kennedys "In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert", oder Dominik Gepperts "Margaret Thatchers Roßkur". Daß "wir" das Feld sozusagen freigeben hätten, ist daher vielleicht kein ganz richtiger Eindruck. Richtig ist freilich, daß es an individueller Themenwahl und Engagement liegt, ob und wie die Geschichtswissenschaft in diesem öffentlichen Diskurs präsent ist, daß ein Großteil der professionellen Energie eher von fachinternen als von öffentlichen Fragestellungen geprägt ist, und daß die Beraterrolle von Historikerinnen und Historikern in Entscheidungsgremien nicht so groß ist, wie sie vielleicht sein könnte, weil ihre Beiträge eher als feuilletonistische Einwürfe denn als konkrete Handlungsvorgaben gesehen werden. Die Frage scheint also eher darauf hinauszulaufen, ob (warum?) Historikerinnen und Historiker von "der" Politik oder "der" Öffentlichkeit nicht hinreichend ernst genommen werden und an Gremien beteiligt werden; das liegt sicher an einer ganzen Reihe von Faktoren, auch an einer sicherlich nicht nur abzulehnenden Zurückhaltung, sich als historische Wissenschaft wieder als Konstrukteure eines neuen Nations- oder Staatsmodells zu beteiligen. Ob die Geschichtswissenschaft sich institutionell - etwa durch die Vergabepraxis bei Forschungsprojekten - anders aufstellen sollte, etwa in Richtung historischer "Think tanks", um mehr Aufmerksamkeit zu erregen, ist eine spannende Frage. Interdisziplinäre Forschungsprojekte mit konkreten Ergebniserwartungen wären sicher ein guter Weg, das einmal zu testen.

2. e) Elite oder Eliten? Das Vertrauen in die Rolle und Prämierungsmodelle der Eliten moderner Gesellschaften scheint zu schwinden. Ist die Aufspaltung unsere Gesellschaft in funktional spezialisierte, oft aber unverbundene Hochleistungsbereiche (Wirtschaft, Politik-Verwaltung, Technik-Medizin-Wissenschaft) unvermeidlich? Oder bieten die gegenwärtigen Umbruchsszenarien die Chance zu einer Neudefinition auch dessen, was Bildung sein soll und wie Elitenrekrutierung und Bildung zusammenkommen?

Es scheint mir eher so, als hätte es eine Chance gegeben, die inzwischen weitgehend vorbei ist. Im Prinzip ist die Ökonomisierung von Bildung - als ein Produkt, für das Studierende als Kunden zahlen, wobei sie mehr oder weniger eben so viel bekommen, wie sie bezahlen - scheint mir nicht nur in der Politik, sondern auch unter einer Mehrheit der Studierenden weitgehend akzeptiert; daher auch der relativ geringe prinzipielle Protest gegen die neuen Studiengebühren, auch wenn sich damit noch keine konkrete Verbesserung der Bedingungen verbindet. Im Moment sind die konkreten Fragen der Mangelverwaltung an den Universitäten einerseits, nach den Berufsaussichten ihrer Absolventen andererseits so dringlich, die Überlegenheit bestimmter Universitätsmodelle - gemessen an Kriterien wie Absolventenquoten, Studiendauer, Erfolg bei der Stellensuche usw. - so eklatant, daß eine breite Diskussion über Bildungsinhalte wenig Aussicht hat. Daß dabei eine notwendige Chance vertan wird, und daß mit der merkwürdigen Mischform des modularisierten deutschen BA, der, soweit ich sehen kann, auf der Welt einmalig ist, vielleicht mehr Schaden als Nutzen angerichtet wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Wenn es uns gelingt, beide Diskussionen parallel zu führen, um so besser. Aber jeder Tag hat nur 24 Stunden.

2. f) Deutschland begibt sich auf die Suche nach Spitzen-Universitäten. Verträgt sich Geschichtswissenschaft über die bloße fachliche Professionalität hinaus überhaupt mit dem Elitegedanken?

Mir ist nach der ganzen Diskussion immer noch schleierhaft, was denn nun "der" Elitegedanke eigentlich sein soll. Daß es Universitäten gibt und gab, an denen bestimmte Fächer besser oder schlechter vertreten waren, ist ja kein Geheimnis; daß jede Benennung einer Spitzenuniversität ein wenig "self-fulfilling prophecy" ist, ist bekannt; daß es nur begrenzt geht, Universitäten zu Spitzenuniversitäten zu erklären, ohne die entsprechenden finanziellen Ressourcen bereitzustellen, auch. Das scheint mir aber kein spezifisches Problem der Geschichtswissenschaft, sondern aller Wissenschaften zu sein.


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