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Fachforum zur Geschichte des kulturellen Transfers und der transnationalen Verflechtungen in Europa und der Welt

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Das Historische Buch 2002


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Prof. Dr. Igor Narskij

Universität Tscheljabinsk

Lebenslauf

1959 in Kujbyschew (Samara) geboren. Seit 1961 - Wohnsitz in Tscheljabinsk.

1976: Schulabschluß in Tscheljabinsk.

1978 - 1983: Studium der russischen Geschichte an der Historischen Fakultät der Tscheljabinsker Universität.

1983 - 1989: pädagogische Tätigkeit in einer Schule, Fachschule und technischen Hochschule in Tscheljabinsk

1989: Promotion zum Thema "Tätigkeit der Konstitutionell-Demokratischen Partei im Ural während der 1. Russischen Revolution (1905 - 1907)" (Institut für Geschichte der UdSSR, Akademie der UdSSR, Moskau).

Seit 1989: Dozent an der Tscheljabinsker Staatlichen Universität, Lehrstuhl für Russische Geschichte

1993: Stipendiat der VW-Stiftung (Seminar für osteuropäische Geschichte an der Universität Frankfurt/M.)

1995: Habilitation über die politischen Parteien im Ural 1901 - 1916 (Tscheljabinsker Universität).

1995 - 1996: Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung (Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Tübingen).

Seit 1996: Professor an der Tscheljabinsker Universität.

Seit 1997: Mitglied und wissenschaftlicher Sekretär des Habilitationsrats an der Universität Tscheljabinsk.

Seit 1997: Herausgeber der Zeitschrift "Bote der Tscheljabinsker Universität", Reihe: Geschichte.

Seit 2000: Leiter des Laboratoriums für Kulturgeschichte an der Tscheljabinsker Universität.

2000: Mitglied der Akademie für Militärgeschichte (S.-Petersburg).

Wintersemester 2002 - 2003: Gastprofessur am Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde der Universität Tübingen.

Zurückliegende Forschungsschwerpunkte

Ideen- und Sozialgeschichte des russischen Liberalismus im 19. und frühen 20. Jh.; regionale Sozialgeschichte der Parteienlandschaft im späten Zarenreich; Antisemitismus im vorrevolutionären Russland.

Aktuelle Forschungsschwerpunkte

Überlebensstrategien der Bevölkerung in der Russischen Revolution und im Bürgerkrieg; Oktoberrevolution als Objekt und Motor der Erinnerungskultur; Kriegserfahrungen und Überlebenspraktiken im Sowjetrussland der Zwischenkriegszeit; Kinderspiele und Sozialisation im Russland des 20. Jhs.; Gerüchte in der sowjetischen Gesellschaft.

Veröffentlichungen

Über 90 Veröffentlichungen, darunter folgende:

Monografien

Kadetten im Ural (1905 - 1907). Swerdlowsk 1991. 148 S. (russisch)

"Revolutionäre auf der Rechten": Schwarze Hundert im Ural 1905 - 1916. Ekaterinburg 1994. 128 S. (russisch)

Russisches provinzielles Parteienwesen: Politische Vereinigungen im Ural vor 1917. Tscheljabinsk 1995. 336 S. (russisch)

Das Leben in einer Katastrophe: Alltag der Bevölkerung im Ural 1917 - 1922. Moskau 2001. 632 S. (russisch)

Herausgeber

Bote der Tscheljabinsker Universität. Reihe 1: Geschichte, 8 (1998), 9, 10 (1999), 11 (2000), 12 (2001), 13, 14 (2002). (russisch)

Ural in Ereignissen 1917 - 1921: aktuelle Forschungsprobleme. Tscheljabinsk 1999. 332 S. (russisch)

Mensch und Krieg (Der Krieg als ein kulturelles Phänomen) / Hg. in Zusammenarbeit mit Olga Nikonova. Moskau 2001. 480 S. (russisch)

Fragen zur historischen Forschungslandschaft und zu aktuellen Debatten

2. a) Wie kamen Sie zur Geschichtswissenschaft? Was hat Sie motiviert, Geschichte zu Ihrem Beruf zu machen?

Meinen Weg zur Geschichtswissenschaft kann ich kaum rekonstruieren. Im Alter von 12 Jahren war ich schon ganz sicher, dass ich Historiker (oder Archäologe) werde. Retrospektiv sehe ich in dieser Entschlossenheit eine akute Neugierde zu “absterbenden” oder unter der Oberfläche der Gegenwart “versteckenden” Phänomenen, gemischt mit einer Art Flucht von der ungemütlichen und bedrohenden gegenwärtigen Welt.

2. b) Die Geschichtswissenschaften haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zahlreiche Erweiterungen und Neuorientierungen der Frageansätze und Forschungsperspektiven erfahren. Welche halten Sie für die interessanteste und folgenreichste?

Für mich persönlich war die Interessenwende der Historiker von der “objektiven” Welt der “großen” Ereignisse, verhärteten Tatsachen, makrosozialen Prozesse und Strukturen zur subjektiven Realität der Erlebnisse und Erfahrungen äußerst spannend. Das kulturhistorische Instrumentarium lässt sogar die durchaus konventionellen Quellen – bei einem ausgewogenen Ansatz – verblüffend anders zu “reden”.

2. c) Sehen Sie Forschungsfelder, denen man künftig mehr Aufmerksamkeit widmen sollte?

Mir scheint das für die Ethnologen längst konventionelles Forschungsfeld des sozialen Lebens der Gegenstände von Historikern nach wie vor vernachlässigt. Die Frage, wie so “unwichtige” Dinge wie Lebensmittel, Spielzeug, (Unter)wäsche, u. a. in der Geschichte mit einem Sinn beladen und wie dieser Sinn zirkuliert und kommuniziert wird, bleibt immer noch ohne plausible Antwort.

2. d) Sollten sich Fachhistoriker mit historischen Argumenten in aktuellen politischen Debatten zu Wort melden, wie es jüngst wieder häufiger zu beobachten ist? Braucht unsere Gesellschaft mehr historische 'Politikberatung'?

Darin sehe ich wenig Sinn, obwohl das sicherlich mit meinem fehlenden politischen Temperament zusammenhängt. Die Politiker lassen sich normalerweise von den historischen Argumenten wenig beeindrucken. Auf jeden Fall gehen sie offensichtlich davon aus, das sie alles besser wissen, als ihre Professoren, die ihnen an der Uni unterrichtet haben.

2. e) Die Universitäten kämpfen mit überfüllten Hörsälen und leeren Kassen, ringen um neue, kürzere Formen des Studierens (BA, MA). Welche Folgen würden Ihrer Meinung nach Studiengebühren und die Möglichkeit der Auswahl der Studenten durch die Universität für Lehre und Forschung in den Geschichtswissenschaften haben?

Meine Erfahrung mit den vor einigen Jahren an den Universitäten Russlands eingeführten Studiengebühren ist durchaus negativ. Sie helfen nicht, die finanziellen Probleme der Universitäten befriedigend abzudecken, haben aber eine beträchtliche Senkung des Niveaus von Studierenden mitbestimmt und bei manchen Studenten das Gefühl erweckt, dass sie mit ihren Gebühren die Lehrkräfte sich erwerben. Diese Erfahrung muss natürlich relativiert werden, aber die Studiengebühren sind jedenfalls kein universales Mittel zu Lösung der Universitätsprobleme.

3. Stellen Sie bitte Ihren persönlichen Favoriten unter den historischen Büchern des Jahres 2002 kurz vor und erläutern Sie Ihre Wahl. (15-20 Zeilen.)

Im Jahre 2002 hat mich die Lektüre der Monographie der am Historischen Seminar der Universität Basel dozierenden Carmen Scheide sehr beeindruckt (Carmen Scheide, Kinder, Küche, Kommunismus. Das Wechselverhältnis zwischen sowjetischem Frauenalltag und Frauenpolitik von 1921 bis 1930 am Beispiel Moskauer Arbeiterinnen. Basler Studien zur Kulturgeschichte Osteuropas, Bd.3 Pano-Verlag, Zürich 2002. 393 S.).
Das Buch präsentiert die Lebenswelt der Moskauer Frauen als eine Schnittstelle der politischen Institutionen und sozialen Strukturen einerseits und der Erlebnisse, Erfahrungen und ihrer Aufarbeitung in den alltäglichen Praktiken andererseits. Im Buch werden die politischen Entscheidungen an der Spitze der Macht geschildert, sowie die öffentliche Debatte über die “Frauenfrage”, Lebensläufe der politisch engagierten Feministinnen, soziales Profil “einfacher” Frauen differenziert rekonstruiert und gut ausgewogen dargestellt. Die Monographie zeigt anschaulich die komplizierte Verzahnung der Frauenpolitik mit den Alltagsprobleben und der Wende zur Industrialisierung und Kollektivierung. Dabei gelingt der Autorin aufgrund der zahlreichen Quellen unterschiedlichster Art, darunter auch der den Historikern früher nicht zugänglichen Archivbestände, zu beweisen, dass es in 20er Jahren mehrere konkurrierende emanzipatorische Ansätze gab, die nicht unbedingt in die stalinistische Frauenpolitik einmünden mussten. Gleichzeitig schildert die Autorin vielfältige Überlebensstrategien der Frauen – vom Arbeitserwerb bis zu Prostitution und Kindermord – und zeigt eine enorme Diskrepanz zwischen den staatlicher Propaganda der ”befreiten” Frau und dem kriminalisierten Alltag mit männlicher Dominanz. Damit bildet das Buch von C. Scheide einen wichtigen Beitrag zur bislang unterentwickelten Alltags-, Gender- und Erfahrungsgeschichte Sowjetrusslands.


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