Prof. Dr. Dieter LangewiescheEberhard Karls Universität Tübingen LebenslaufGeboren 11.1.1943 in St. Sebastian, Österreich. Abschluß Realschule 1959 in Essen, kaufmännische Lehre bis 1962, dann kaufmännischer Angestellter u. Abendgymnasium Gelsenkirchen, Abitur 1966. Studium: Politikwissenschaft, Germanistik, Geschichte in Heidelberg 1966-71; Staatsexamen 1971. 1971-78 wiss. Assistent für neuere Geschichte, Universität Würzburg. Promotion 1973 (Liberalismus und Demokratie in Württemberg zwischen Revolution und Reichsgründung, Düsseldorf 1974); Habilitation 1978 (Zur Freizeit des Arbeiters. Bildungsbestrebungen und Freizeitgestaltung österreichischer Arbeiter im Kaiserreich und in der Ersten Republik, Stuttgart 1980). 1978 Professur für neuere Geschichte an der Universität Hamburg, seit 1985 an der Universität Tübingen. Rufe nach Bochum, München, Erfurt. In Hamburg u. Tübingen Dekan u. Mitglied zahlreicher Kommissionen. Seit 2000 Mitglied im Universitätsrat der Universität Tübingen u. des Kuratoriums der Universität Erfurt (z.Zt. Vorsitzender). Vertrauensdozent der Friedrich-Ebert-Stiftung an der Universität Tübingen seit 1985. 1997-2000 in Tübingen beurlaubt, um als Prorektor für Lehre und Gründungsbeauftragter für die Philosophische Fakultät am Aufbau der Universität Erfurt mitzuwirken. DFG: 1992-2000 gewählter Fachgutachter im Fachausschuß Geschichte, 1996-2000 dessen Vorsitzender. 1997-2000 Auswahlausschuß für den Heinz Maier-Leibnitz-Preis; 1996 Initiator des Förderschwerpunktes 'Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Ansätze zu einer neuen Geistesgeschichte'. 1993-95 Mitglied des Wissenschaftsrates, bis 2001 in dessen Evaluierungsausschuß 'Blaue Liste-Institute'. 1991-93 Strukturkommission für die Hochschulen, Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen des Landes Brandenburg. 1999-2001 Expertenrat für Hochschulen und Fachhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen. Mitglied in Wiss. Beiräten: Bundesstiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus (Vorsitz); Bismarck-Stiftung; Fritz Thyssen-Stiftung; Werner-Reimers-Stiftung; Wiss. Institut des Fürstentums Liechtenstein; Haus der Geschichte Baden-Württemberg; 1998-2001 Stiftungsrat Weimarer Klassik; Mitglied in wiss. Institutionen, u.a.: 1990-96 Ausschuß des Deutschen Historikerverbandes; Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Akademie gemeinnütziger Wissenschaften Erfurt; Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Kommission für die Geschichte des Parlamentarismus u. der politischen Parteien. Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte. Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Deutsch-tschechische und deutsch-slowakische Historikerkommission. Preise, Auszeichnungen: Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1996. Preis für die Förderung von Wissenschaftlerinnen und Studentinnen durch die Universität Tübingen 1997. Erwin-Stein-Preis 2001. 1994/95 Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Bücher und SammelbändeEuropa zwischen Restauration u. Revolution 1815-1849, 1985, 4. erweiterte Aufl. in Vorbereitung (Oldenbourg Grundriß Geschichte, 13) (als Blindenhörbuch 1998) Liberalismus in Deutschland, 1988 u.ö; (englisch: Macmillan Press u. Princeton University Press 2000) Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland u. Europa, 2000. (Mit)Herausgeberschaften u.a.:Arbeiter in Deutschland, 1981. Arbeiter in Hamburg. Unterschichten, Arbeiter u. Arbeiterbewegung seit dem ausgehenden 18. Jh., 1983. Die deutsche Revolution von 1848/49, 1983. Liberalismus im 19. Jh.: Deutschland im europäischen Vergleich, Göttingen 1988. Liberalismus und Region, 1995. Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Band V: 1918-1945, 1989. Revolution u. Krieg. Zur Dynamik historischen Wandels seit dem 18. Jh., 1989. Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- u. Mentalitätsgeschichte des I. Weltkriegs, 1997. Europa 1848. Revolution u. Reform, 1998; Amerikanische Ausgabe 2001. Demokratiebewegung u. Revolution 1847 bis 1849. Internationale Aspekte u. europäische Verbindungen, 1998. Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte, 2000. Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum I. Weltkrieg, 2000. Nation u. Religion in der deutschen Geschichte, 2001. Zeitschriften u. Schriftenreihen, u.a.: Geschichte u. Gesellschaft; Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur (1988-2002); Studien u. Texte zur Sozialgeschichte der Literatur (1981-2002); Nationalsozialismus u. Nachkriegszeit in Südwestdeutschland; Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- u. Wissenschaftsgeschichte; Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, N.F.; Demokratische Bewegungen in Mitteldeutschland. Aktueller ForschungsschwerpunktNationen in Europa seit dem Spätmittelalter bis zur Gegenwart; vor allem Nation und Krieg (im Tübinger SFB "Kriegserfahrungen"). Fragen zur historischen Forschungslandschaft und zu aktuellen Debatten2. a) Wie kamen Sie zur Geschichtswissenschaft? Was hat Sie motiviert, Geschichte zu Ihrem Beruf zu machen? Mein Interesse für gesellschaftliche Entwicklungen richtete sich zunächst auf Politik- und Literaturwissenschaft. Geschichte als Fach kam erst im Laufe des Studiums hinzu. Daß daraus Geschichte als Beruf erwuchs, geht nicht auf einen Entschluß von mir zurück. Es hätte auch anders kommen können, zumal die Universität als Berufsort nie mein Ziel gewesen ist. Ob ich ihn heute angesichts der derzeitigen Entwicklungen noch einmal wählen würde, weiß ich nicht. 2. b) Die Geschichtswissenschaften haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zahlreiche Erweiterungen und Neuorientierungen der Frageansätze und Forschungsperspektiven erfahren. Welche halten Sie für die interessanteste und folgenreichste? Die folgenreichste (und für mich interessanteste) Erweiterung der Geschichtswissenschaft war deren allgemeine sozialgeschichtliche Fundierung in den letzten vier bis fünf Jahrzehnten. Die gegenwärtige kulturwissenschaftliche Orientierung konnte darauf aufbauen, auch wenn deren Verfechter das nicht immer erkennen wollen. 2. c) Sehen Sie Forschungsfelder, denen man künftig mehr Aufmerksamkeit widmen sollte? Ich nenne keine speziellen Forschungsfelder, sondern zwei Zugangsweisen, die ausgebaut werden sollten, um die Geschichtswissenschaft fachintern weiterzuentwickeln und als Gesprächspartner für die Gesellschaft attraktiv zu halten: der Vergleich über kulturelle oder nationale Grenzen hinweg und die Betrachtung langfristiger Entwicklungen über die engen Zeitgrenzen der üblichen fachinternen Kompetenzbereiche hinaus. Mein eigener derzeitiger Forschungsschwerpunkt ‚Nation und Krieg' läßt erkennen, was man an Erkenntnismöglichkeiten vergibt, wenn man national oder epochal begrenzt forscht. Wir sollten versuchen, den Blick auf das Gesamtfach Geschichte zurückzugewinnen. Dann würden z.B. die Zeithistoriker der Kriege des 20. Jahrhunderts entdecken, was ihnen Althistoriker und Anthropologen dazu sagen können. 2. d) Sollten sich Fachhistoriker mit historischen Argumenten in aktuellen politischen Debatten zu Wort melden, wie es jüngst wieder häufiger zu beobachten ist? Braucht unsere Gesellschaft mehr historische 'Politikberatung'? Historiker sollten sich in politische Debatten einschalten, wenn sie dazu aus historischer Perspektive Orientierungshilfen bieten können. Allerdings wird man sich damit abfinden müssen, daß in der heutigen Gesellschaft Wissenschaftler keine spezifischen Expertenstatus besitzen 2. e) Die Universitäten kämpfen mit überfüllten Hörsälen und leeren Kassen, ringen um neue, kürzere Formen des Studierens (BA, MA). Welche Folgen würden Ihrer Meinung nach Studiengebühren und die Möglichkeit der Auswahl der Studenten durch die Universität für Lehre und Forschung in den Geschichtswissenschaften haben? Eine sozial abgefederte Studiengebühr, verbunden mit der Möglichkeiten, Studenten auszuwählen, würde helfen, Qualitätsstandard zu steigern oder zumindest zu halten. Das wird angesichts der geforderten Verkürzung der Studienzeiten notwendig sein, damit die bisherige Ausbildungsqualität gehalten werden kann. 3. Stellen Sie bitte Ihren persönlichen Favoriten unter den historischen Büchern des Jahres 2002 kurz vor und erläutern Sie Ihre Wahl. (15-20 Zeilen.) Ich nenne noch einmal die beiden Werke, die ich schon im vergangenen Jahr genannt hatte: Weingart und Horne/Kramer. Sie haben mich unter den Fachbüchern, die ich 2001/2002 gelesen habe, am stärksten beeindruckt.
Weingart, Peter: Die Stunde der Wahrheit? Vom Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft. Weilerswist: Velbrück 2001.
Wer wissen will, welche Position die Wissenschaft in der heutigen Gesellschaft einnimmt, warum ihr nicht mehr das Vertrauen entgegengebracht wird, auch dann etwas für die Gesellschaft sinnvolles zu tun, wenn diese keinen unmittelbaren Nutzen erkennt, warum Verkaufsstrategien auch in der Wissenschaft zunehmend über Erfolgschancen entscheiden, sollte dieses Buch lesen. Der Soziologe zeigt im historischen Längsschnitt, daß ‚Wissenschaft' kulturell bestimmt ist und sich deshalb auch verändert. Und er zeigt zugleich, warum es für alle Seiten schädlich wäre, wenn die Distanz zwischen der Wissenschaft und anderen Teilsystemen noch stärker als bisher schon geschehen schwinden würde.
Horne, John; Kramer, Alan: German Atrocities 1914. A History of Denial. New Haven/London: Yale University Press 2001.
Eines der besten Werke, die zum I. Weltkrieg und seinen Nachwirkungen erschienen sind. Die Autoren stellen den präzise recherchierten Verlauf der deutschen Invasion in Belgien und Frankreich nicht einfach neben die sich völlig widersprechenden Bilder, die sich beide Seiten von diesem Geschehen machten, sondern entschlüsseln beides als ein miteinander verwobenes Konfliktbündel, in denen für die Zeitgenossen, aber auch für spätere Zeiten Realität und deren kulturell geformte Wahrnehmung und Deutung nicht mehr zu trennen waren.
Homepage: http://www.uni-tuebingen.de/neuere/lawi.htm |