Claudia Roth
![]() |
![]() |
![]() |
Wolfgang Mommsen | Theodor Schieder | Hans-Ulrich Wehler |
Warum haben gerade Historiker lange Zeit über ihre Verstrickungen im Dritten Reich geschwiegen - diese Frage bewegt seit dem Frankfurter Historikertag im September letzten Jahres die deutsche Historikerzunft. Bei der Diskussion um die "braune" Verg angenheit des eigenen Fachs sind auch jene Historiker, die in den 50er und 60er Jahren studiert haben, angeklagt, nicht nach dem Verhalten ihrer Lehrer während des Nationalsozialismus gefragt zu haben.
Julia Schäfer, Jens Hacke und Marcel Steinbach-Reimann, Geschichtsstudenten der Humboldt-Universität Berlin, wollten Genaueres wissen und haben deshalb in den vergangenen Monaten renommierte Historiker der Bundesrepublik interviewt, deren Lehr er ihre Karriere unter dem NS-Regime begannen und nach 1945 führende Positionen in der deutschen Geschichtswissenschaft einnahmen. Bewusst hat Rüdiger Hohls, Historiker an der Humboldt-Universität und Ideengeber für das Projekt, dabe i auf die "Enkel"-Generation der heute Studierenden gesetzt: Es sollte nicht - wie so oft zuvor - zu einem Wechselspiel aus Vorwürfen und Entschuldigungen kommen.
Welche Erfahrungen haben die einstigen Schüler mit ihren akademischen Vätern in den 50er und 60er Jahren gemacht? War es überhaupt möglich, mit ihnen über den Nationalsozialismus oder gar die eigenen Verfehlungen zu sprechen? So hatten beispielsweise Theodor Schieder und Werner Conze bei der Erstellung von Plänen zur Neuordnung Ostmitteleuropas mitgeholfen. Wie erlebten die Studenten die personellen Kontinuitäten in der Geschichtswissenschaft nach 1945? Anhand biogra phischer und standardisierter Fragen ist in 17 Interviews ein Bild der frühen bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft entstanden. Das Beschweigen des Dritten Reichs war ebenso üblich wie eine zum Teil bemerkenswerte Toleranz, die die pol itisch konservativen Lehrer ihren Schülern entgegenbrachten.
Wolfgang J. Mommsen und Hans-Ulrich Wehler betonen die intellektuelle Anregung, die von ihrem Lehrer Theodor Schieder ausging. Dem steht die bittere Erfahrung gegenüber, vergeblich auf Antworten gewartet zu haben, wenn es um den Nationalsozialismus ging. So erinnert sich Wolfgang Schieder an seinen Vater Theodor: "Ich habe immer gefragt, aber nie Antworten bekommen." Auch in Gesprächen mit seinem Lehrer Werner Conze über das Dritte Reich habe dieser "eher annalistisch" erzählt, "oh ne dass er sich selber kommentiert hätte. Wir konnten keine Kommentare erzwingen, denn schließlich waren wir nicht das Hohe Gericht", so Schieder, der heute Professor an der Universität in Köln ist.
Für Emeritus Imanuel Geiss ist deshalb auch der heutige Vorwurf "überzogen", sich nie nach der Vergangenheit der Lehrer erkundigt zu haben. Damals sei es "realitätsfremd" gewesen, nach der Tätigkeit seiner akademischen Lehrer im Nati onalsozialismus zu fragen. Geiss warnt vor einer moralisierenden Selbstgerechtigkeit der jüngeren Historikergeneration. Helga Grebing nennt es dennoch im Rückblick "naiv", dass sie nie daran gedacht hat, in den Schriften von Werner Conze aus d en 30er Jahren nachzusehen. "Ich dachte, wer solch eine große Rolle in der neueren Historiographie spielt, der wird wohl kein Nazi gewesen sein." Warum die eigene Generation nicht den Mut gefunden habe, kritischere Fragen zu stellen - darauf finde t keiner eine endgültige Erklärung. Immer wieder berichten die Befragten davon, wie befangen sie gegenüber ihren Lehrern waren. Oder hatten sie doch nur Angst vor Karrierenachteilen? Heinrich August Winkler, seit 1991! Historiker an der Humboldt-Universität, will dies nicht ausschließen, vermutet aber auch, "dass es die Scheu war, Leuten Vorwürfe zu machen, die in gewisser Weise - so sah ich das damals - auch gebüßt hatten", ob in der Kriegsgefangenschaft oder durch die zeitweilige Suspendierung vom universitären Lehrbetrieb. Heute allerdings spricht Winkler selbstkritisch von "Unterlassung". Für Reinhard R ürup von der TU Berlin hatte seine Generation auch aufgrund der eigenen Erfahrungen als Pimpfe oder Hitler-Jungen Verständnis für die Lehrer: "Wir konnten uns vorstellen, wie man in ein solches System hereingewachsen wäre."
Wenn auch niemand der Befragten so weit wie Kritiker Götz Aly geht, der die Historiker im Nationalsozialismus als "Vordenker der Vernichtung" bezeichnet, sprechen heute fast alle von einer Mittäterschaft durch Politikberatung. Hans-Ulrich Wehl er wirft den Historikern vor allem vor, mit ihrer Sprache "die zivilisatorischen Hemmschwellen" gesenkt zu haben. Viele der "Schüler" sind bis heute darüber enttäuscht, dass keiner ihrer Lehrer nach 1945 klar Stellung zu seinem Verhalten im Dritten Reich bezogen hat. "Es ist für mich jetzt sehr schmerzhaft zu erleben, wie eisern Schieder über seine Texte zur Polenvertreibung und ,Entjudung' der Städte geschwiegen hat", gesteht Wehler. Andere hingegen scheinen persönl ich weniger betroffen zu sein. Der Erlanger Historiker Michael Stürmer - Opponent Wehlers im Historikerstreit der achtziger Jahre - empfindet bei der Debatte denn auch eher "Schadenfreude" darüber, dass "Päpste gest&u! uml;rzt werden und Kardinäle betreten sind".
Die Interviews sind nachzulesen unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de.
Der Tagesspiegel vom 4. September 1999